Amazonien, 17. November 2007
Indigene Gruppen, die sich seit Jahrhunderten frei im Amazonien aufgehalten haben und dort in ihren abgegrenzten Gebieten frei umherzogen, suchen immer häufiger Schutz in Brasilien vor Guerillakämpfern, Holzfällern oder Erdölfirmen. Ganze Stämme haben sich mittlerweile aus Peru, Kolumbien und Venezuela aus ihrem angestammten Lebensraum zurückgezogen um Verfolgung, Vergewaltigung und Mord zu entgehen.
Mit Überschreiten der Grenze geben sie damit jedoch ihre einfachsten Bürgerrechte auf und stossen damit bei den Behörden auf Probleme. Am Rio Negro im äussersten Nordwesten des Bundesstaates Amazonas haben sich mittlerweile 400 Indios auf brasilianisches Territorium vorgewagt, um den revolutionären Streitkräften Kolumbiens (Farc) zu entgehen. “Entweder ihr geht, oder wir töten eure Familien hat die Farc den Indios angedroht“, so Mauro Sposio, Direktor der Bundespolizei für Grenzfragen. “Es ist so schlimm dort auf der anderen Seite, dass sie hierher gekommen sind.“
“Sie haben keine Dokumente, die Kinder gehen nicht in die Schule und ansonsten erhalten sie auch keine staatlichen Zuwendungen – sie sind dort Staatsbürger und nicht hier“ erklärt André Fernando von der Indianervereinigung des Rio Negro. Nach seiner Aussage habe der Flüchtlingsstrom in den vergangenen Monaten stetig zugenommen, da die kolumbianische Guerilla inzwischen auch nach Venezuela eindringt und dort die Indiogruppen ebenfalls vertreibt.
Auch 1.500 Kilometer südwestlich flüchten indigene Gruppen, die bisher kaum oder gar keinen Kontakt zu der Aussenwelt hatten, vor Holzfällern und Erdölgesellschaften in den Nationalpark Serra do Divisor in Acre. “Wir haben dort zwar noch keinen Krieg, aber die Lebensräume sind in grosser Gefahr“ erklärt Wellington Figueiredo von der brasilianischen Indianerbehörde Funai. Zwei Gruppen, eine davon mit rund 100 Mitgliedern, sind inzwischen von Peru über den Rio Envira auf brasilianisches Territorium gelangt. Wenn die Vertreibung der Indios nicht aufgehalten wird, so befürchtet José Carlos dos Reis Meirelles, der dort einen Aussenposten der Funai betreibt, wird es bald zu Konfrontationen kommen. “Wenn wir jetzt nicht schnell handeln, kommt es irgendwann zu Toten und Verletzten“ erklärte er per Telefon einer brasilianischen Nachrichtenagentur.
Die Indianerbehörde beobachtet mit grosser Sorge die Entwicklung im Amazonasgebiet. Auch wurden die peruanischen Behörden darüber informiert, Antwort erhalten haben die Brasilianer jedoch keine. Im Oktober erst hatte Perus Staatspräsident Alan Garcia erklärt, die Erdölförderung würde prinzipiell erst einmal niemanden beeinträchtigen, denn “diese Figur eines unkontaktierten Ureinwohners im Amazonas wird zwar angenommen, ist aber nicht bewiesen“.
Brasilien kann die Indiogruppen zwar Schutzgebiete zuweisen, aber auch dort verlieren die Ureinwohner zunehmend Gebiete an Goldsucher, Holzfäller und Agrarwirtschaft. Oft werden die einzelnen Gruppen mit Waffengewalt vertrieben und in viel zu kleine Gebiete gesteckt, in den mittlerweile die verschiedensten Gruppen leben. Oder sie landen in einer Elendssiedlung am Rande einer Stadt. „Es ist schon traurig, wie wenig Platz auf diesem riesigen Kontinent inzwischen den ursprünglichen Bewohnern zur Verfügung steht“ findet auch die Soziologin Azelene Kaingang, selbst indigener Abstammung.
Dietmar Lang für BrasilienPortal