Manaus, 10. Februar 2009
Drogenkonsum in Verbindung mit Alkoholexzessen könnten einen Akt des Kannibalismus verursacht haben, der sich allem Anschein nach in einer Indianersiedlung der kulina im Amazonas ereignete. Zu diesem Schluss kommt die Indianerforscherin Rosa Maria Monteiro. Anfang Februar wurde in der Nähe der Stadt Envira im Bundesstaat Amazonas der 21-jährige Viehhirte Océlio Alves de Carvalho tot aufgefunden.
Er wurde von einer Gruppe des Stammes brutal erstochen, anschliessend wurden innere Organe entfernt und der Körper zerstückelt. Die Täter sollen die Körperteile dann in einer Art Ritual verzehrt haben.
Es ist die unglaubliche Brutalität, die bei dem Fall die Öffentlichkeit erschreckt. Die Indianerbehörde Funai ist inzwischen vor Ort, die Polizeibehörden ermitteln. Sollte es sich tatsächlich um Kannibalismus handeln, wäre dies ein einzigartiger Fall bei den Indios dieses Stammes. Da eine solche Tat in keiner Weise den normalen Riten der Ethnie entspricht, gehen Experten davon aus, dass es nur durch externe Einflüsse, wie z.B. Alkohol- und Drogenkonsum, zu dem schrecklichen Verbrechen kommen konnte.
Rosa Maria Monteiro bestätigte gegenüber brasilianischen Medien, dass bereits in den 90er Jahren der Alkohol in den Indianerdörfern Einzug gehalten hat. Die 59-jährige hat gut 15 Jahre in dem Dorf gelebt, aus dem sechs der derzeit verdächtigten Personen stammen. Sie selbst hat die Region vor vier Jahren verlassen. Der Konsum sei über die Jahre ständig angestiegen, zudem wurde begonnen, Marihuana zu kultivieren. Doch aus Angst vor einer Verhaftung durch die brasilianische Bundespolizei wurden die Felder wieder vernichtet. Ab der Jahrtausendwende wurde dann die Billigdroge Crack konsumiert, zunächst als Ersatz für die normalerweise bewusstseinserweiternden Mittel bei der Heilung von Krankheiten oder bei religiösen Ritualen, später dehnte sich der Konsum auch auf den Alltag aus.
Gefunden wurde der zerstückelte Körper von Angehörigen des Opfers am 03. Februar. Laut Polizeibericht fehlten mehrere Organe sowie die Eingeweide. Laut einem Stammesmitglied, welches durch die Polizei vernommen wurde, sollen andere Indios diese aufgegessen haben. Wie in dem Untersuchungsbericht der Gerichtsmedizin nachzulesen ist, wurden insgesamt 60 Messerstiche am Körper festgestellt. Auch für einen lokalen Ermittler der Polizei sieht alles nach einem Ritualmord aus. Unter anderem wurden seiner Aussage nach das Gehirn, das Herz, die Leber sowie einige andere Teile des Körpers nicht aufgefunden.
Bei dem Dorf der kulina handelt es sich bereits um eine urbanisierte Siedlung. Die Indianer dort tragen ihre brasilianischen Namen, unter denen sie auch offiziell registriert sind. Die alten Stammesnamen kommen kaum mehr zum Einsatz. “Es sind zivilisierte Indianer. Wir kennen nicht die indianischen Namen, nur wie sie in der Stadt gerufen werden“ wird ein lokaler Polizeisprecher zitiert.
Die Polizei vor Ort ist in ihrer Ermittlungsarbeit jedoch eingeschränkt. Durch entsprechende Bundesgesetze zum Schutz der indigenen Völker können Zivil- und Militärpolizei die Verdächtigen zwar vernehmen, müssen jedoch zuvor die Indianerbehörde Funai um Erlaubnis bitten. Auch dürfen sie nicht einfach das Indianerdorf betreten, um die mutmasslichen Täter festzunehmen. Aber diese sind ohnehin derzeit flüchtig.
Schwere Anschuldigungen an der Indianerbehörde kommen derzeit aus der Stadtverwaltung von Envira. Der Alkohol sei Schuld an der grausamen Tat, der Konsum innerhalb der indigenen Gruppen steige ständig, die Funai glänze derweil durch Abwesenheit. 72 Stunden habe sie nach Bekannt werden der Tat benötigt, um überhaupt jemanden vorbei zu schicken und bis zum heutigen Tage habe sie keinerlei Stellung zu dem Vorfall bezogen.
Auch die Organisation indigener Völker in Amazonien zeigt sich geschockt von dem Vorfall. Kannibalismus sei keinerlei Charakteristik der Ethnie Kulina oder madija, wie sich die Angehörigen des Stammes selbst nennen. Es sei ein einzigartiger Vorfall. Lediglich von den Stämmen tupinambás und aruaques sei dies aus der Vergangenheit bekannt, allerdings sei es auch dort seit Jahrzehnten nicht mehr vorgekommen.
Dietmar Lang für BrasilienPortal