Dies ist eine wahre Begebenheit, eine Geschichte, die vor nunmehr 45 Jahren ihren Anfang nahm, und über die mancher Leser vielleicht den Kopf schütteln mag, denn allzu unverständlich, vielleicht sogar nichtig, erscheint uns Menschen des 21. Jahrhunderts die ganze Aufregung um ein paar Blutproben, die nordamerikanische Wissenschaftler damals von ein paar Yanomami-Indios entnommen hatten. Allerdings taten sie dies ohne offizielle Erlaubnis der Stammesführer. Und genau das, diese anmassende Willkür der Amerikaner, wurde zum Zankapfel – nicht nur zwischen Indio-Häuptlingen und Wissenschaftlern, sondern im Lauf der Jahre kletterte der Streit um die Blutproben immer höher, so dass sich schliesslich höchste brasilianische Regierungsstellen mit dem US-Staat Pennsylvania (wo besagte Wissenschaftler arbeiten) ins Benehmen setzen mussten – und die Rückgabe der indigenen Blutproben erreichten. Hier ist die Story aus der Sicht der Indios, genauer: aus der Sicht der Yanomami, denn aus ihrer kulturellen Perspektive das Leben zu betrachten, wird ihnen als Leser, vielleicht einiges verständlicher machen.
Nach nunmehr 45 Jahren ist es den Yanomami gelungen, die von nordamerikanischen Wissenschaftlern, der Universität von Pennsylvania, unter ihrem Volk gesammelten Blutproben ins heimatliche Territorium zurückzuholen. Das Material – es traf am 26. März 2015 in Brasilien ein – wurde am Freitag (03.04.) zum indigenen Dorf Piaú geschickt, in der Region Toototobi, zum indigenen Territorium Yanomami, im Bundesstaat Roraima. Dort fand zu diesem Anlass eine Zeremonie mit indigenen Führern statt, welche die Rückgabe des Blutes an das Volk gebührend feierten.
Was zwischen 1960 und 1970 geschah, wurde unter dem Titel “Blut der Yanomami“ bekannt – die Medien im ganzen Land griffen damals die Story auf, in der zwei amerikanische Wissenschaftler – ein Anthropologe und ein Genetiker – Blutproben von Indios in Brasilien und in Venezuela sammelten, ohne vorher die entsprechenden Führungspersönlichkeiten zu konsultieren.
Die Vereinbarung zur Repatriierung der Blutkonserven wurde vom Sekretariat für Internationale Zusammenarbeit formuliert und anschliessend von der brasilianischen Bundesanwaltschaft (MPF) unterzeichnet, und von der Universität von Pennsylvania gegengezeichnet – das war im März 2015. Der Antrag zur Rückgabe des Yanomami-Blutes wurde erstmals im Jahr 2002 gestellt – Yanomami-Führer sprachen beim MPF vor und wurden erst einmal an die Staatsanwaltschaft in Roraima verwiesen (wo die Yanomami leben) – und dort nahm das administrative Procedere seinen Lauf.
Im März 2015 kamen dann verschiedene Blutproben in Brasilien an und wurden sofort entsprechend kontrolliert und getestet – nach Auskunft der MPF wurden ihre physischen Eigenschaften nicht verändert. In der Verpackung war auch eine Bescheinigung enthalten, welche die Authentizität des Inhalts attestierte.
Der Staatsanwalt von Roraima garantierte, dass die in Brasilien angekommene Sendung “die absolute Mehrheit des gesammelten genetischen Materials darstellt“. Noch befinden sich ein paar Proben in den USA, aber die MPF arbeitet bereits daran, auch den Rest des Materials zurückzubekommen.
“Blut ist ein Teil von uns”, sagt Davi Kopenawa, der Führer der brasilianischen Yanomami, und erzählt, dass er noch ein Kind war, als ihm die Wissenschaftler das Blut abzapften. “Ich war gerade mal 10 oder 11 Jahre alt, als die Nicht-Indios (er meint die nordamerikanischen Wissenschaftler) in unser Dorf am Rio Toototobi kamen. Insgesamt gab es dort vier Dörfer, und in denen wohnten einige Missionare zusammen mit uns. Die Missionare sprachen mit den Führern, dass sie uns Blut abnehmen würden“, erzählt Davi.
Im Tausch gegen die Blutproben boten die Amerikaner den Yanomami Aluminiumtöpfe, Nylonschnur, Streichhölzer und Messer an. Davi Kopenawa bestätigte, dass er das genaue Datum nicht mehr wisse, an dem dies alles geschah. “Ich weiss nicht mehr, in welchem Jahr, Monat oder Tag das war. Für uns spielt ein genaues Datum keine Rolle“!
Wie Davi weiter berichtet, begann der Kampf um die Rückgabe des genetischen Materials gegen Ende der 80er Jahre, nachdem ein brasilianischer Anthropologe ihn daran erinnert hatte, was damals am Toototobi geschah. “Ein Anthropologe sprach mit uns über das Blut, jenes Blut, das nicht einfach so ins Ausland mitgenommen werden durfte, und die Abnahme, die wir auch nicht einfach hätten zulassen dürfen. So erinnere ich mich an das Geschehen“.
Unter Begleitung eines anderen Yanomami-Führers, der das Volk jenseits der brasilianischen Grenze, in Venezuela, repräsentierte, reiste Davi Kopenawa in die USA, um mit amerikanischen Anthropologen zu reden und sie um die Repatriierung der Blutproben zu ersuchen. “Der Anthropologe in den USA sagte zu mir“ ‚Davi, wir sind keine Indios. Unsere Gedanken sind anders. Das Blut ist bereits im Papier. Alles notiert, dokumentiert, wir nennen das Bürokratie, Sitten der Weissen eben. Wir werden viel reden müssen, und es wird dauern’, und ich sagte, dass ich warten würde“!
Wie Davi Kopenawa versichert, war sein einziger Wunsch, das Blut zurückzubekommen. “Wir wollten unser Blut zurück. Die Weissen haben uns getäuscht, um das Blut mitzunehmen. Dieses Blut ist ein Teil von uns. Unsere Leute haben Anspruch darauf, dass es dorthin zurückkommt, von wo es weggenommen wurde“, erklärt er.
Ausserdem bestätigte er, dass im Dorf Piaú, Region Toototobi, eine Zeremonie stattfinden werde, denn dieses Dorf ist einer der Orte, an dem die Blutproben gesammelt wurden – die Zeremonie wird der Rückgabe Gewicht geben. “Ich selbst werde das Blut überbringen – wir werden uns versammeln und die Schamanen rufen, mit den traditionellen Geistwesen in Kontakt treten und ein Gebet sprechen. Dann werden wir in der Erde ein Loch graben, einen der Glasbehälter öffnen und das Blut ausgiessen“, sagt er und bestätigt, dass Traurigkeit und Weinen die Herzen aller erfüllen wird.
Und was war der eigentliche Grund der nordamerikanischen Untersuchung? Der brasilianische Anthropologe Marcos Braga, Professor des “Instituts Insikiran de Formação Superior Indígena”, der Staatlichen Universität von Roraima (UFRR), erklärte uns, dass die Nordamerikaner die Yanomami ausgewählt hatten, weil sie annahmen, dass dieses Volk eine unterschiedliche genetische Herkunft besässe.
“Die damaligen Untersuchungen wurden geleitet von einem Genetiker und einem Anthropologen, der als widersprüchlich bekannt war. Sie wollten herausfinden, ob das Volk der Yanomami vielleicht direkte Nachfahren jener Stämme waren, die zur Eiszeit die Behringstrasse (antike Landzunge zwischen Asien und Amerika) überquert hatten, um Amerika zu erreichen“, erklärt der Professor.
Der Fall der Blutproben wurde bekannter im Jahr 2000, als der Journalist Patrick Tierney ein Buch herausbrachte, unter dem Titel “Dunkelheit in Eldorado“, in dem er die ganze Story enthüllte.
Braga bestätigte, dass der Fall “Blut der Yanomami“ eine klare Demonstration ’kultureller Vergewaltigung’ darstellt und fehlender ’Ethik in der Forschung’. Nach Analyse des Professors haben die Forscher weder auf die Autonomie noch die Kultur des indigenen Volkes der Yanomami Rücksicht genommen, während sie ihre Studien betrieben.
“Wenn die Yanomami sterben, werden sie verbrannt und das Blut ist ein Teil des Körpers. Sie verbrennen ihre Toten, weil die Rückkehr zu Asche für sie die Rückkehr zu ihren Ahnen, zum Wald und ihrer Erde bedeutet. Das hat für sie eine kulturelle Symbolik von besonderem Gewicht. Wie ich das Vorgehen dieser Amerikaner sehe, hatte es einen überheblichen Anstrich – sie glauben, dass der Andere unterhalb ihrer Kultur einzuordnen ist. ’Wir sind das Zentrum, alle anderen sind untergeordnet’ – diese Idee der Minderwertigkeit entdecke ich besonders ausgeprägt in dieser Aktion“, hebt er hervor.
Die indigenen Völker von heute verschliessen sich zunehmend gegen die Forschung, dank solcher Aktionen. “Die Ethik in der Forschung fehlte. Welches Laboratorium war das? Welche Art von Forschung? In wessen Interesse? Nichts davon wurde bekannt gegeben”, fasste der Anthropologe den Fall zusammen, und hob hervor, dass es heutzutage Komitees gibt, um Forschungen dieser Art zu kontrollieren.