Rio de Janeiro, 04. Februar 2008
Mit einem Feuerwerk an Ideen, Emotionen und vor allem Farben startete die erste Nacht der Samba-Paraden der Grupo Especial im Karneval von Rio de Janeiro. Obwohl es über weite Strecken regnete, war den Teilnehmern die Freude nicht zu nehmen. Knapp 20.000 Aktive zogen in sechs Paraden an den 70.000 Zuschauern im ausverkauften Sambódromo Marquês de Sapacuí vorbei, die ebenfalls bis zum Morgengrauen aushielten.
So unterschiedlich die Themen schon in den vergangenen Tagen in São Paulo waren, so unterschiedlich waren sie auch bei den sechs Sambaschulen in der ersten von zwei Nächten. São Clemente, Porto da Pedra, Salgueiro, Portela, Mangueira und Viradouro lieferten Präsentationen ab, die durchweg luxuriöser und monumentaler anmuteten als die in der brasilianischen Wirtschaftsmetropole. Zumal kamen statt fünf Motivwagen fast immer sieben, wenn nicht sogar acht zum Einsatz und die Paradestrecke war in 80 Minuten statt in 65 Minuten zu meistern.
Vor allem die Begrüssungskommission als Vorhut der Sambaschule war in eigentlich allen Paraden aufwendiger und durchdachter. Und wenn in São Paulo Pappmaché verwendet wurde und grosse Figuren statisch waren, sah man sie in Rio de Janeiro mit Stoff überzogen und beweglich. Die Cariocas sind wirklich detailversessen und so etwas macht sich dann auch in den Paraden bemerkbar. Schon jetzt kann man sagen, dass die Stadt unter dem Zuckerhut ihren Ruf als “Welthauptstadt des Carnaval“ gerecht wurde – und die “guten“ Sambaschulen kommen ja erst noch.
Den Anfang machte am gestrigen Sonntagabend gegen 21 Uhr Ortszeit die Sambaschule São Clemente. Im noch trockenen Sambódromo bekamen die Zuschauer eine nicht immer ganz schmeichelhafte Hommage an die portugiesische Kaiserfamilie dargeboten. Angespielt wurde dabei auf die Flucht des portugiesischen Kaisers vor Napoleon nach Brasilien, auf die verrückte Kaisermutter Dona Maria sowie auf andere Kolonien des europäischen Landes. So fand man unter den Motivwagen auch einen riesigen Elefanten. Viel Gold zeigte ein anderer Wagen, der auf die unglaublichen Reichtümer des portugiesischen Weltreiches zu der damaligen Zeit anspielten. Pyrotechnische Effekte und viele farbenfrohe Kostüme brachten der Parade den letzten Schliff.
Ein wenig enttäuschend war die Parade von Porto da Pedra. Die Sambaschule erinnerte daran, dass vor 100 Jahren die ersten japanischen Einwanderer ins Land kamen. Dafür holte man unzählige Mitglieder der mittlerweile grossen japanischen Gemeinde nach Rio de Janeiro. Doch diese schienen nicht die gleiche Leidenschaft mit auf die Paradestrecke zu bringen wie ein waschechter Carioca. Geishas, Samurais, die bekannten Comicfiguren und natürlich auch die kulinarischen Spezialitäten fanden sich in der Präsentation wieder. Alleine für den Motivwagen, der die Ankunft der Japaner in Brasilien darstellte, wurden 4500 Meter Bambus verarbeitet. Auf einem anderen Wagen war ein kleiner japanischer Garten abgebildet, mit Teich, Brücke und Kirschbäumen. Es war wirklich alles schön durchdacht und gestaltet, aber die Wagen wippten unter den Sambaschritten einfach nicht so, wie man es aus Rio de Janeiro kennt.
Die Symbole Rio de Janeiros brachte dann Salgueiro ins Sambódromo – und mit ihnen den Regen. Trotz der erfrischenden Dusche von oben kamen die Schönheiten der brasilianischen Tourismusmetropole voll zur Geltung. Aber auch auf die Traditionen der “cidade maravilhosa“ wurde hingewiesen. Die Perkussionsgruppe war ganz in silbergraue Nadelstreifenanzüge gekleidet, um an die Gauner der Stadt zu erinnern. Bananenboote machten auf die wunderschönen Strände aufmerksam und ein Motivwagen mit dem Marcanã präsentierte stolz die bekannten Fussballclubs der Stadt. Aber auch kritische Töne wurden angeschlagen. Im ersten Drittel der Parade wurden Indianer und Tiere symbolisiert, die Verlierer ihrer Lebensräume bei der Besiedelung der Bucht von Guanabara.
Als vierte Sambaschule des Abends hatte Portela die zunehmende Umweltzerstörung als Thema gewählt. Leidenschaftlich und voller Elan präsentierten sich die Teilnehmer trotz immer stärker werdenden Regens. Ein riesiger Adler eröffnete die Präsentation, alle Farben waren in blau und weiss gehalten, um auf die dramatische Veränderung in der Natur hinzuweisen. Die zunehmende Luft- und Wasserverschmutzung, letzteres durch einen sehr schön gestalteten Motivwagen mit vielen Meeresbewohnern geschmückt, waren ebenfalls Eckpunkte der Parade. Später kamen dann jedoch auch noch bunte Kostüme und ein vielfarbiger Motivwagen zum Einsatz. Auf dem letzten Wagen machte die Schule den Unterschied zwischen Erhaltung und Zerstörung auf drastische Art und Weise deutlich: In einer Sekunde wurde die Figur eines gesunden Babys gegen die eines unterernährten Babys ausgetauscht.
Vorletzte Sambaschule der Nacht war Mangueira. Ihr Motto waren 100 Jahre Frevo, ein Musikstil des Karnevals im Nordosten. Verbunden wurde die Parade dabei mit vielen Elementen des Carnaval von Recife und Olinda. So waren in der Präsentation neben verschiedenen Flaggen aus der Region oder der berühmte riesige Hahn – Galo da Madrugada – zu sehen. Nach dem Eklat im vergangenen Jahr mit Beth Carvalho war selbige dieses Jahr auf keinem Wagen zu entdecken. Die Zuschauer sollten sie nach 36 Jahren Mangueira kurze Zeit später bei Viradouro sehen. Im strömenden Regen hatten die 4.500 Teilnehmer trotz allem ihren Spass. Auch der Maracatú, ein weiterer Musikstil des Nordostens und Vorläufer des Samba wurde thematisiert.
Mit grosser Spannung wurde die Parade von Viradouro erwartet. Die Sambaschule, welche für eine Kostümgruppe und einen Motivwagen ein richterliches “Startverbot“ auferlegt bekam, weil darin angeblich der Holocaust banalisiert wurde, hatte im Vorfeld eine Protestaktion angekündigt. Bei der wohl schönsten Präsentation der Nacht kam dann auch der Wagen zum Einsatz, allerdings waren die Plastikkörper entfernt worden. Dort sassen nun aktive Teilnehmer mit verbundenem Mund. Entsprechende Schilder, welche auf die Zensur aufmerksam machten, waren ebenfalls montiert worden. Die weiteren Themenbereiche waren vielfältig und vor allem kreativ. Ob komplett goldene menschliche Körper in Kamasutra-Stellungen, eine echte Skipiste mit echten Skifahrern oder Mr. Freeze, der zuerst im Nebel eingefroren wurde und danach als Eisskulptur – aus echtem Eis versteht sich – insgesamt zwölfmal zerschlagen wurde. Für diese ganze Show hat es sich schon gelohnt, so lange aufzubleiben.
Nun blickt alles mit Ungeduld auf die morgige Nacht. Weitere sechs Sambaschulen werden ihre Paraden abhalten, als letzte der Vorjahressieger Beija-Flor. Und es dürften nochmals Steigerungen bei den Präsentationen zu erwarten sein. Der Karneval von Rio de Janeiro ist noch nicht vorbei – klicken Sie also morgen wieder rein ins BrasilienPortal oder ins brasilienmagazin.net und informieren Sie sich über den berühmtesten Karneval der Welt auf www.rio-karneval.de.
Dietmar Lang für BrasilienPortal