Samba-Paraden finden endgültigen Höhepunkt in Rio de Janeiro

Rio de Janeiro, 05. Februar 2008

Nach drei Tagen Grupo Especial in São Paulo und Rio de Janeiro hat mancher gestern geschworen, dass keine Steigerung mehr möglich ist. Doch weniger als 24 Stunden später wurde derjenige und vor allem die Zuschauer am letzten Tag der diesjährigen Samba-Paraden eines besseren belehrt. Sechs Sambaschulen gingen aufs Ganze und präsentierten ein Feuerwerk an Ideen, Fantasie, Kreativität und Leidenschaft.

Im abermals ausverkauften Sambódromo Marquês de Sapucaí in Rio de Janeiro, welches übrigens 85.000 Zuschauer fasst und nicht nur 70.000, wie wir gestern versehentlich falsch vermeldet haben wetteiferten die Sambaschulen Mocidade, Unidos da Tijuca, Imperatriz, Vila Isabel,  Grande Rio und Beija-Flor bis zum Morgengrauen um die Gunst des Publikums und der Juroren. Sogar der Wettergott hat ein Einsehen und liess es zu Beginn der Paraden nur ein wenig tröpfeln. Und so hielt sich das Wetter über die ganze Nacht. Lediglich dann und wann nieselte es leicht, die Aktiven auf der Paradestrecke und die Zuschauer auf den Tribünen tanzten einfach darüber hinweg.

Es gab wohl keine Farbe, die nicht in den Präsentationen vorkam. So bunt, so vielfarbig hatte man den brasilianischen Karneval in diesem Jahr noch nicht gesehen. Und auch nicht so luxuriös. Hier wurde dieses Jahr ganz tief in die Vereinskasse gegriffen um den Zuschauern in der Arena und den Fernsehzuschauern weltweit, die in über 100 Ländern die Show live mitverfolgen konnten, ein gigantisches Spektakel zu bieten, wie es dieses auf dem Globus kein zweites Mal gibt. Höhepunkt der Präsentationen war der Auftritt der Sambaschule Beija-Flor, die gegen 04:15 Uhr in die von Stararchitekt Oscar Niemeyer entworfene Arena in Rio de Janeiro einmarschierte. Doch dazu später mehr.

Begonnen hatte die lange Nacht bereits gegen kurz nach 21 Uhr mit der Sambaschule Mocidade. In ihrer Parade verglichen sie das geplante portugiesische Weltreich mit dem der Babylonier, der Griechen, der Römer und der Perser. “Das 5. Weltreich von Portugal nach Brasilien – eine Utopie der Geschichte“ so der treffende Titel der Präsentation. Im Mittelpunkt stand Dom Sebastião, der Monarch Portugals des 12. Jahrhunderts mit dem Traum, sein Land eben in ein riesiges Reich zu verwandeln. 34 Kostümgruppen, 4.500 Teilnehmer und 7 Motivwagen verwandelten die Paradestrecke in eine Zeitleiste durch die Vergangenheit. Optisches Highlight war natürlich auch die Königin der Perkussionsgruppe Thatiana Pagung, die mit ihren Sambaschritten vor allem die Herzen der männlichen Zuschauer gewann.

Bei Unidos da Tijuca stand das Sammeln im Mittelpunkt der Show. Schon die Begrüssungskommission wies auf das grosse Ziel eines jeden Sammlers hin: sie zu vermehren. Und so nutzten sie Spiegel um ihre eigene Anzahl bereits zumindest optisch zu verdoppeln. Und auch sonst wurde gesammelt was auf die Motivwagen kam. Und zwar in einem Museum, einem Antiquariat, einem Puppenhaus und sogar in einem Kühlschrank. Dort war eine Sammlung von Pinguinen zu finden. Aber auch auf dem Boden zeigten die Kostüme viele Objekte, die für Sammler interessant sind. Doch der ganz grosse Wurf gelang der Sambaschule nicht. Im Vergleich mit der Konkurrenz wird sie vermutlich dieses Jahr eine Sache nicht weitersammeln können: den Titel der Grupo Especial.

Kurz nach Mitternacht brachte dann Imperatriz Leopoldinense “Josef und Marias“ auf die Paradestrecke. Auch hier wurde zu Beginn wieder auf den portugiesischen Kaiser Dom João VI angespielt. Auf einem Motivwagen assoziierte zudem ein gigantischer Wal die Flucht des Imperators vor den Franzosen in seine damalige Kolonie Brasilien. Daher stand zu Beginn die französische Revolution im Mittelpunkt. Unter anderem war Marie Antoniette auf der Paradestrecke anzutreffen, und zwar gleich dutzendfach. 37 Kostümgruppen, sieben Motivwagen und 3.500 Teilnehmer fanden mit ihren farbenfrohen und besonders im frankophilen ersten Teil der Parade authentischen Kostümen grossen Beifall beim Publikum.

Eine Hommage an die brasilianischen Arbeiter projizierte die Sambaschule Vila Isabel ins Sambódoromo von Sapacuí. Und präsentierte dabei sogar noch nackte Haut. Doch zu Beginn der Präsentation wurde erst einmal verdeutlicht, was die portugiesischen Eroberer von ihrer neuen Kolonie erwarteten. Die Abenteuerromantik wurde auf dem ersten Motivwagen mit Meeresungeheuern und gigantischen indianischen Skulpturen treffend umgesetzt. Aber auch die Naturschönheiten waren anzutreffen, im vorliegenden Fall in Form von kleinen Wasserfällen, für die 3.500 Liter Wasser auf dem Wagen umgewälzt wurden. Highlight waren jedoch die beiden weiblichen Schönheiten, die sich darunter während der ganzen Parade barbusig erfrischten. Aber bei einer Reflektion des brasilianischen Arbeitsmarktes der Vergangenheit durften auch die Immigranten nicht fehlen. Grosse Motive symbolisierten unter anderem Einwanderer aus China, Japan und Italien. Schlusspunkt der Parade war ein Motivwagen, der die heutige industrielle Automobilfertigung in Brasilien darstellte.    

Und auch am letzten Tag der Samba-Paraden war wieder eine Schule mit dem Thema “Naturschutz“ vertreten. Grande Rio machte auf das ökologisch sinnvolle Projekt einer Gasraffinerie im Amazonasgebiet aufmerksam und warb dafür, den umweltfreundlichen Brennstoff häufiger zu verwenden. Aber auch Rio de Janeiro wurde gelobt, die erste Stadt   Südamerikas, die Gas über Versorgungsleitungen in die Haushalte transportierte. Und auch in den verschiedenen Kostümgruppen spiegelte sich das Ökoprojekt wieder. 3.600 Teilnehmer, 32 Kostümgruppen und 8 Motivwagen schafften die Paradestrecke auf die letzte der erlaubten 80 Minuten. Und dies war auch nötig, um sich die Chancen auf den Titel nach zwei zweiten Plätzen in den beiden letzten Jahren zu erhalten. Prominenz war bei Grande Rio übrigens auch anzutreffen. Auf einem Motivwagen tanzte die im siebten Monat schwangere Fernanda Lima. Die TV-Moderatorin erwartet Zwillinge und versprach vor der Parade in einem Interview, sich nicht “allzu viel zu bewegen“.

Gäbe es keine Spezialgruppe im Karneval von Rio de Janeiro, so müsste man sie erfinden und direkt Beija-Flor dort hineinsetzen. Die Parade des Vorjahresgewinners stellte alles in den Schatten. Findet zumindest der Autor dieser Zeilen. Es wäre wirklich keine Überraschung, wenn die Kolibris nach der Show, die heute Morgen gegen halb sechs zu Ende ging, erneut den Thron erobern würden. Absoluter Luxus, unzählige Details auf den riesigen Motivwagen und die wohl aufwändigsten Kostüme aller Sambaschulen sollen den Anspruch auf den Titel belegen. Es war wirklich eine andere Klasse, welche die Zuschauer im Sambódromo geboten bekamen. Da rückte das Thema “Macapá“, die Hauptstadt des Bundesstaates Amapá in den Hintergrund. Die Stadt liegt auf den Äquator und damit sind die Tage und Nächte immer gleich lang – ein Thema der Präsentation. Farbenfroh, leidenschaftlich und extrem professionell agierten Teilnehmer und Verantwortliche auf der Paradestrecke. Die Perkussionsgruppe war wie immer perfekt, der Samba-Enredo ein Ohrwurm und die Tänzerinnen waren ein Genuss. Aber dies ist wie bereits erwähnt lediglich der subjektive Eindruck des Autors.

Nun müssen sich alle Schulen nur noch bis Mittwochnachmittag Ortszeit gedulden, denn dann gibt es das Ergebnis. Wir werden Sie natürlich zeitnah darüber informieren. Weitere Infos zum Carnaval findet man auf unseren vielen Sonderseiten und auf unserer Partnerseite brasilblog.de. Und klicken sie sich rein in den brasilianischen Karneval unter www.rio-karneval.de. Denn nach den Samba-Paraden ist vor den Samba-Paraden. Die Sambaschulen von São Paulo und Rio de Janeiro werden bereits im März wieder mit den Vorbereitungen für die kommende Kampagne beginnen.

Dietmar Lang für BrasilienPortal

© 2003-2024 BrasilienPortal by sabiá brasilinfo
Reproduktion der Inhalte strengstens untersagt.
Aus unserer Redaktion

Letzte News