Willkommen zum Karneval 2009. In der vergangenen Nacht standen die ersten Paraden in São Paulo auf dem Programm. Darüber werden wir heute ausführlich berichten, doch zuvor noch ein kleiner Hinweis. In einer der vergangenen News hatten wir angekündigt, für alle Brasilien-Karnevalfans einen Podcast über den Carnaval im Nordosten Brasiliens zu produzieren. Dieser steht nun zum Anhören und Herunterladen bereit und vermittelt einen ersten Eindruck von den spektakulären Veranstaltungen in Salvador da Bahia, Recife und Olinda.
Aber nun hinein ins Sambódromo von Anhembi in São Paulo. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als gegen 7:30 Uhr Ortszeit die letzten Teilnehmer die Zielgerade am Ende der Paradestrecke überschritten. Über 8 Stunden dauerte das Spektakel in der leider nicht ganz ausverkauften Arena bei wolkenlosen Himmel und rund 25 Grad. Viel nackte Haut, mitreissende Samba-Enredo, Glanz und Gloria vergangener Tage sowie einiges an politischen Motiven bekamen die Zuschauer weltweit geboten, denn der Mediengigant Rede Globo übertrug in seinem internationalen Satellitenprogramm alle Paraden live.
Begonnen hatte das farbenfrohe Spektakel kurz nach 23 Ortszeit mit der Sambaschule Unidos do Peruche. Die Zuschauer erlebten eine Zeitreise durch die Welt des Schmucks und der Edelsteine. Dafür kam der Verein aus Limão im Norden der Millionenmetropole mit 5 Allegoriewagen ins Sambódromo und präsentierte 23 einzelne Gruppen mit ihren bunten Kostümen. Knapp 3.000 Teilnehmer sorgten für den richtigen Schwung und sangen eifrig den Samba-Enredo mit.
Die Herrlichkeit von Gold und Diamanten stand zu Beginn der Parade im Mittelpunkt, danach wurde es jedoch etwas ernster. Nachdem der Goldrausch im religiösen Kontext thematisiert wurde, wies der letzte Wagen auf die sinnlose Ausbeutung der Natur hin. Eine Schrecksekunde gab es bei der Aufstellung, als der Arm einer der gigantischen Figuren abbrach und den Start etwas verzögerte. Und bevor es dann tatsächlich losging, legte die Sambaschule noch eine Schweigeminute für die am 01. Februar im Alter von nur 59 Jahren verstorbene Sambista Denise Camargo ein.
Den “Traum vom Karneval” brachte danach die Sambaschule Rosas de Ouro auf die Paradestrecke. Dafür wurden zunächst einmal die Sambaschulen der Metropole gewürdigt. 14 Komponenten umfasst die “comissão de frente“, welche die Flaggen aller 14 Sambaschulen der “grupo especial“ präsentierte. Die Reflektion über die Magie des Karnevals kam beim Publikum auch sehr an – mit allen Problemen, die immer wieder auftauchen. So zum Beispiel die Fertigstellung der Wagen in letzter Minute. Während die ersten Teilnehmer bereits im Sambódromo tanzten, wurde am fünften Wagen, auf dem sich hauptsächlich Kinder befanden, noch kräftig geschraubt.
Ansonsten standen eine “Traumfabrik“ und ein Allegoriewagen zum Thema “Kunst und Kultur“ im Mittelpunkt der Präsentation. Dort faszinierte ein riesiger rot-blauer Bulle, der an das Folklorefest Boi-Bumbá in Parintins erinnerte. 5 Motivwagen, 24 Kostümgruppen und knapp 3.500 Teilnehmer umfasste die Parade der Sambaschule, die im letzten Jahr einen hervorragenden 4. Platz erzielte.
Schon weit nach Mitternacht präsentierte sich die Sambaschule Unidos de Vila Maria mit einem eher ersten Thema den Zuschauern: die weltweite Finanzkrise. Doch im Karneval von São Paulo ist sogar diese gut gelaunt und farbenfroh. “Vom Überleben zum Luxus. Von der Illusion zum Rausch. Geld: Mythos, Geschichte und Realität“ war dann auch das Thema des Samba-Enredo. Die Allegoriewagen präsentierten die Entwicklung des Geldes, die Einführung der Finanzen durch das portugiesische Kaiserhaus und dem derzeitigen Devisenmarkt mit seinem für Brasilien manchmal starken Dollar. Insgesamt waren 5.400 Teilnehmer auf der Wegstrecke, 27 Kostümgruppen und fünf Allegoriewagen sorgten für jede Menge Trubel. Alleine die Rhythmusgruppe umfasste 250 Personen, aufgeteilt in schwarze und weisse Kostüme, um die Vor- und Nachteile des Geldes herauszustellen. Trotz des gewaltigen Aufmarsches schaffte diese Sambaschule die Paradestrecke trotzdem in der vorgegebenen Zeit.
Mit gleich zwei Themen startete die Sambaschule Tom Maior in den diesjährigen Karneval: der Kultur Angolas sowie einer Hommage an den Sambista Martinhos da Vila. Wie immer begeisterte auch die “Mutter der Perkussionsgruppe“ – “madrina da bateria“ – Adriana Bombom mit ihrem durchtrainierten Körper die Massen. Daneben waren Ana Hickmann, der Sänger Frank Aguiar, die Miss Angola des Vorjahres Tânia Oliveira, und die Minimiss Mundo Natália do Amaral Stangherlin mit von der Partie.
Schon zu Beginn der Präsentation wurde mit einem Foto eines Mädchens aus dem afrikanischen Staat auf die Missstände aufmerksam gemacht, in denen viele Menschen dort leben. Auch der Bürgerkrieg in Angola wurde mit bewaffneten Soldaten auf einem Allegoriewagen thematisiert. Musikalisch wurden die Sambaklänge des Martinho da Vila mit afrikanischen Rhythmen verschmolzen – als Zeichen des afrikanischen Einflusses in der brasilianischen Gesellschaft. Es war für viele die beste Parade in der ersten Nacht.
Eine ganz andere Show lieferte die Sambaschule Mancha Verde dem Publikum. Motto der Schule war in diesem Jahr die Kultur Pernambucanas. Das Fest von São João, der Galo da Madrugada im Karneval von Recife, der religiösen Einfluss der Holländer in der Vergangenheit und die Handwerkskunst des im Nordosten gelegenen Bundesstaates wurden unter anderem auf den sechs Allegoriewagen umgesetzt. Zudem sorgten 35 Kostümgruppen für ein farbenfrohes Treiben.
Auch die “Königin der Trommler“, Viviane Araújo, hatte ihre 300 Percussionisten fest im Griff. Während der Parade wurden tausende Fähnchen verteilt, das gesamte Sambódromo schien sich in ein Fussballstadion zu verwandeln. Und als die Parade kurz nach fünf Uhr früh ihr Ende fand, jubelten die Zuschauer wie echte Fans nach einem grandiosen Sieg der eigenen Mannschaft. Von der Stimmung her dürfte diese Parade den Sieg der Nacht davontragen.
Richtig politisch wurde es beim Auftritt der Sambaschule X-9 Paulistana. Die Internationalisierung des Amazonas stand auf dem Programm. Bereits zu Beginn vermittelten die Teilnehmer einen ersten Eindruck von den indigenen Kulturen der Region, die es unbedingt zu erhalten gilt. Aber auch der durch schwarze Sklaven eingeführte Candomblé und die durch die portugiesische Kolonisation entstandenen Zerstörungen wurden thematisiert.
Für Aufsehen sorgte erneut das brasilianische Model Viviane Castro, die im vergangenen Jahr für viele Zuschauer komplett nackt in Rio de Janeiro an einer Parade teilnahm. Auch in diesem Jahr bedeckte lediglich ein 3,5cm breiter Klebestreifen ihre Scham. Auf den Oberschenkel waren die Präsidenten Barack Obama und Luiz Inácio Lula da Silva zu erkennen – Symbole des drohenden Ausverkaufs der Regenwälder in Amazonien. Ein weiterer Motivwagen machte zudem auf das “Massaker durch die Motorsäge“ aufmerksam.
Die Sonne kam schon über den Horizont, als die letzte Sambaschule der langen Nacht über die Paradestrecke zog. Nenê de Vila Matilde ehrte ihr eigenes 60-jähriges Bestehen und brachte die verbliebenen Zuschauer sogar noch einmal in Tanzstimmung. Dabei hatte es gar nicht so gut angefangen. Denn ein Motivwagen machte Probleme und konnte nicht an der Parade teilnehmen. Sämtliche Kostümgruppen, die anderen Allegoriewagen und natürlich auch die “Einführungskommission“ symbolisierten Epochen aus der Geschichte der Schule.
Natürlich war auch wieder ein riesiger Adler mit von der Partie, das Wahrzeichen des Vereins. Auch Fotos wurden präsentiert, selbst die Musik war an einen Samba-Enredo von vor gut 30 Jahren angelehnt. Am Ende schien den Sängern sogar schon die Sonne ins Gesicht, doch die gute Stimmung konnte es nicht trüben. Trotz Probleme und Verspätung bei der Aufstellung durch den defekten Wagen zeigte auch diese Schule, was das wichtigste am brasilianischen Karneval ist: dabei sein und mitfeiern!
Soviel für den Moment von der ersten Nacht der Karnevalsparaden der Grupo Especial von São Paulo – in Zusammenarbeit mit dem brasilien Magazin. Morgen melden wir uns erneut mit einer ausführlichen Berichterstattung vom zweiten Teil der Paraden.