Mit der zweiten Nacht der Sambaparaden im Karneval von São Paulo hat das Spektakel in der brasilianischen Millionenmetropole endgültig seinen Höhepunkt erreicht. Weitere sieben Sambaschulen der Grupo Especial, darunter auch einige Titelaspiranten sowie der Vorjahressieger präsentierten sich bestgelaunt dem Publikum im Sambódromo do Anhembi. Bis zum Morgengrauen dauerte das ausschweifende Fest mit farbenfrohen Kostümen, gigantischen Motivwagen, heissen Samba-Rhythmen und viel nackter Haut.
Eine vielköpfige Jury hatte dabei die Aufgabe, nach einem komplizierten Wertungssystem Noten für die Präsentationen zu vergeben. Am Dienstagnachmittag Ortszeit wird dann der diesjährige Gewinner bekannt gegeben, der Titel verspricht neben Ruhm und Anerkennung vor allem noch mehr finanzielle Unterstützung für die kommende Kampagne.
Den Auftakt zu “Runde 2“ machte gegen 22:30 Uhr die Sambaschule Águia de Ouro. Die Aufsteiger aus der Grupo A wollen unbedingt in der höchsten Gruppe verbleiben und stellten ihre Präsentation unter das Motto “Ribeirão Preto, região à frente do seu tempo: da mineração ao agronegócio, terra de liberdade e riqueza“ (Ribeirão Preto, eine Region, deren Zeit kommen wird: Minen und Agrarwirtschaft, Erde der Freiheit und des Reichtums). So erlebten die Zuschauer einen Streifzug durch die nördlich von São Paulo gelegenen Region, bei der die malerischen Flüsse genauso thematisiert wurden wie die von afrikanischen Sklaven mitgebrachten Mythologien. 62 Minuten benötigten die 3.000 Teilnehmer am Ende für ihre Parade und blieben damit 3 Minuten unter der vorgegeben Zeit.
Tom Maior, eine der bekanntesten und beliebtesten Sambaschulen der Millionenmetropole ging als zweite auf die 530 Meter Wegstrecke im Sambódromo. Wie immer mit dabei Adriana Bombom, Ehefrau des Samba-Superstars Dudu Nobre in ihrer Funktion als “Mutter der Percussionsgruppe“. Die Schule hatte sich das 50. Jubiläum der Hauptstadt Brasília ausgesucht und so lautete auch das Motto “Brasilia, Do Sonho à Realidade… Uma Homenagem de São Paulo aos 50 Anos da Capital Coração do Brasil“ (Brasilia, vom Traum zur Realität… Eine Huldigung São Paulos der 50 jährigen Hauptstadt im Herzen Brasiliens). Die Parade schien jedoch zunächst unter keinem guten Stern zu stehen, denn bis auf die letzte Sekunde wurde noch an den gigantischen und farbenfrohen Motivwagen gearbeitet. Die Tore schlossen sich dann jedoch nach genau 65 Minuten hinter den 2.300 Mitwirkenden, darunter auch 50 Kinder, so dass die Schule deswegen keinen Punktabzug zu erwarten hat.
Es war erst kurz nach Mitternacht und zeitgleich Höhepunkt des noch frühen Sonntagmorgens, als die Sambaschule Mocidade Alegre ins Sambódromo einmarschierte. Unter dem Motto „Da criação do Universo ao sonho eterno do Criador…eu sou o espelho e me espelho em quem me criou“ (Von der Schöpfung des Universums zum ewigen Traum des Schöpfers… ich bin der Spiegel und spiegele mich in dem, der mich geschaffen hat) präsentierten die Vorjahressieger eine gewaltige und extrem luxuriöse Show, welche die Zuschauer auf dem Tribünen euphorisch mitfeiern liess. So stellten das Tanzpaar “Mestre-sala e porta-bandeira“ Sonne und Mond dar, die Rhythmusgruppe lief in einer ganz speziellen Choreografie und die Motivwagen waren durch unzählige Leuchtmittel illuminiert. Doch neben der Wanderung der Planeten und der Astrologie wurden auch Geschichten über magische und zerbrochene Spiegel erzählt. Nach 62 Minuten hatten die rund 3.200 Teilnehmer und 5 Allegoriewagen die Wegstrecke bewältigt und liessen zunächst ein erschöpftes Publikum zurück.
Doch mit den ersten Klängen des Enredo der Sambaschule X-9 Paulistana kam die Energie wieder zurück. Die 3.600 Teilnehmer legten sich zwar mächtig ins Zeug, die 64 Minuten andauernde Präsentation unter dem Motto “Do além mar, a herança lusitana nos une. Ora pois… a X-9 é portuguesa com certeza!“ (Von Übersee vereint uns das lusitanische Erbe. Denn die X-9 ist wahrhaftig portugiesisch!) kam jedoch nicht an die Vorgänger heran. Die 24 Kostümgruppen und 5 Motivwagen symbolisierten zwar auf detailreiche Weise die Verbindungen zwischen der ehemaligen Kolonialmacht Portugal und Brasilien, der richtige Funke wollte jedoch nicht überspringen. Daran änderte auch nicht die Präsenz des portugiesischen Sängers Roberto Leal, der über die gesamte Wegstrecke nicht aufhörte zu singen und zu tanzen.
Als fünfte Schule des Abends marschierte die von treuen Fans des Fussballvereins Corinthians gegründete Sambaschule Gaviões da Fiel mit 4.500 Teilnehmern ins Sambódromo ein. Die Hauptattraktion war ohne jeden Zweifel das Fussballidol Ronaldo, der erst kurz vorher seine Teilnahme angekündigt hatte und seit letztem Jahr bei dem Verein unter Vertrag steht. Und er kam nicht ohne Grund: die Präsentation war dem 100. Geburtstag des Vereins gewidmet und so lautete auch das Motto “Corinthians… minha vida, minha história, meu amor!“ (Corinthians….mein Leben, meine Geschichte, meine Liebe!). Auf den Allegoriewagen wurden jedoch nicht nur die Gründer geehrt, auch der Schutzpatron fand seinen Platz in einem eindrucksvollen Monument. Zudem durfte wie jedes Jahr der Adler, das Wahrzeichen der Schule, nicht fehlen. Eine Kostümgruppe erinnerte sogar an den Abstieg in die zweite Fussball-Liga, ein Ereignis, welches die Fans am liebsten vergessen würden. Um genau 4:19 Uhr beendeten die fussballbegeisterten Karnevalisten nach 63 Minuten ihre eindrucksvolle Präsentation unter grossen Beifallsbekundungen der Zuschauer.
Mit Império de Casa Verde zog danach eine der jüngsten Sambaschulen São Paulos in die aufgeheizte Arena ein. Unter dem Motto “Itu, Fidelíssima Terra de Gigantes“ (Itu, das treue Land der Riesen) setzten die Gewinner von 2005 und 2006 auf Grösse und dementsprechend gigantisch waren dann auch die Allegoriewagen. Und sogar künstlicher Schnee kam zum Einsatz, da Wissenschaftler herausgefunden hatten, dass die Region rund um die 400 Jahre alte Stadt im Bundesstaat São Paulo vor mehr als 280 Millionen Jahren von einer dicken Schnee- und Eisschicht bedeckt war. Zudem erinnerte ein Motivwagen an die Ureinwohner, die einst dort siedelten. 3.800 Teilnehmer in 24 Kostümgruppen erzählten zudem andere kleine Geschichten über die 1610 von Portugiesen gegründete Stadt, deren Jubiläumsjahr nun offizielle eröffnet sein dürfte.
Letzte Sambaschule des nun anbrechenden Morgens war Pérola Negra. Unter dem Motto “Vamos Tirar o Brasil da Gaveta“ (Holen wir Brasilien aus der Schublade!) hatte sich der 1973 gegründete Verein ein tiefgründiges Thema ausgesucht. Brasilien hat kulturell viel zu bieten und dies sollte genutzt werden, so der Tenor des rhythmischen Samba-Enredo. Ob musikalisch, sportlich, literarisch oder rein künstlerisch, die angeblich verborgenen Talente des grössten südamerikanischen Landes wurden auf 5 Allegoriewagen und in 22 Kostümgruppen detailreich präsentiert. Als prominentestes Mitglied der rund 3.000 Teilnehmer war Turnerin Daiane dos Santos zu erblicken, die trotz des jüngsten Dopingskandals mit viel Beifall bedacht wurde. Die Verantwortlichen thematisierten zudem die Ursprünge Brasiliens durch Menschen mit weisser, schwarzer und indigener Hautfarbe und vermittelten am Ende der 14 Paraden im Karneval von São Paulo nochmals den enormen kulturellen Reichtum der brasilianischen Gesellschaft ̶ etwas, was sich auch in den alljährlichen Sambaparaden und Strassenumzügen stets widerspiegelt.