In der Nacht zum Fastnachtsdienstag fanden die imposanten Sambaparaden in Rio de Janeiro im diesjährigen Karneval in Brasilien ihren emotionsgeladenen und farbenfrohen Abschluss. Nachdem bereits in der Nacht zuvor die Schulen Uniao da Ilha, Imperatriz Leopoldinense, Unidos da Tijuca, Unidos do Viradouro und Academicos do Salgueiro im Sambódromo Marquês de Sapucaí das Publikum zu begeisterten.
Nun waren die weiteren sechs Sambaschulen am Zuge, um die Gunst von Zuschauern und Jury zu werben. Doch bis zur Bekanntgabe des Siegers müssen sich die 12 Schulen der Grupo Especial (Spezialgruppe) noch bis zum Mittwoch gedulden. Erst dann steht fest, wer in diesem Jahr den Titel mit nach Hause nehmen darf und wer im kommenden Jahr in der zweiten Liga erneut um den Aufstieg kämpfen muss.
Die lange Nacht des Defilees machte bei tropischen Temperaturen die Sambaschule Mocidade Independente kurz nach 21 Uhr Ortszeit. Unter dem Motto „Do paraíso de Deus ao paraíso da loucura, cada um sabe o que procura“ (Vom Paradies Gottes zum Paradies der Verrückten, jeder Einzelne weiss, was er sucht) zeigte die Schule Fantasiewelten unterschiedlichster Natur. So wurde zu Beginn der Garten Eden symbolisiert, Engel begleiteten Adam und Eva aus dem Paradies heraus. Die Protagonisten der Comissão da frente (Begrüssungskommission) wurden von zwei jugendlichen Tänzern dargestellt, die ihre Sache mehr als gut machten. Im Anschluss ging die Reise auf den afrikanischen Kontinent, in dem die Menschen des Mittelalters das Paradies vermuteten und vor dort in die neue Welt bzw. ins heutige Südamerika. Aber auch Konsumtempel und der Karneval können für die Menschen das persönliche Paradies darstellen, wie weitere Allegoriewagen verdeutlichten. Die 3.000 Teilnehmer in 36 Kostümgruppen, darunter auch der 72-jährige Sambastar Elza Soares, bewältigten die Paradestrecke in genau 80 Minuten und hoffen nun, nach dem 11. Platz im Vorjahr mit ihrer Präsentation ein besseres Ergebnis wenn nicht sogar den Titel zu erreichen.
„Com que roupa… Eu vou? Pro samba que você me convidou“ (Mit welcher Kleidung… geh ich? Zum Samba, zu dem Du mich eingeladen hast) lautete das Motto der Sambaschule Porto da Pedra, die um genau 22.31 Uhr die von Stararchitekt Oscar Niemeyer entworfene Arena betrat und die Zuschauer auf eine Reise in die Welt der Mode mitnahm. Rund 4.000 Teilnehmer in 38 Kostümgruppen zeigten Stile wie Rokoko, Barock, Art Nouveau und präsentierten dabei berühmte Persönlichkeiten der jeweiligen Epoche. Selbst der Tiger, dem Wahrzeichen der Schule wurde mit einer bunten Kappe und verschiedenen Piercings „verschönert“. Am Ende gewährte die Gruppe noch einen Einblick in heutige Modeschauen auf einem Allegoriewagen, der mit diversen Laufstegen ausgestattet war und auf denen Models berühmter brasilianischer Modemacher defilierten. Am meisten faszinierten jedoch die allgegenwärtigen detailreichen und luxuriösen Kostüme, welche die Paradestrecke in ein wahres Farbenmeer verwandelten. Mit 79 Minuten blieb die Schule ebenfalls im vorgeschriebenen Zeitrahmen von 82 Minuten.
Ins digitale Zeitalter entführte kurz danach die Sambaschule Portela. Die 1923 gegründete Traditionsschule, die bereits 21-mal den Wettbewerb für sich entscheiden konnte, verknüpfte den Karneval mit dem Internet und stellte die Präsentation unter das Motto „Derrubando fronteiras, conquistando a liberdade, o Rio de paz em estado de graça“ (Grenzen sprengen, die Freiheit erringen, Rio des Friedens im Zustand der Gnade). So symbolisierten die verschiedenen Kostümgruppen z.B. die Demokratie im weltweiten Netz oder die Informations- und Kommunikationstechnologie durch Handys, soziale Netzwerke und Blogs. Als Beispiel für wichtige Technologie im normalen Leben wurde auf einem Allegoriewagen die Ultraschalluntersuchung im Rahmen der Schwangerschaftsbetreuung thematisiert. Die Parade mit 4.000 Teilnehmern, insgesamt aus 35 Alas und 7 überdimensionalen Motiven bestehend, war fast ganz in den Vereinsfarben Silber und Blau gehalten und bewältigte die rund 700 Meter lange Paradestrecke in 80 Minuten. Dabei kam es inmitten der Präsentation zu einer Verzögerung, als hoch oben auf einem Motivwagen eine Tänzerin vor Aufregung und Hitze einen Schwächeanfall bekam und kurz von den Helfern betreut werden musste.
Um 1:26 Uhr war es dann für die Academicos do Grande Rio soweit. Unter dem Motto „Das Arquibancadas ao Camarote Nº 1 – Um Grande Rio de Emoção Na Apoteose do Seu Coração“ (Von der Tribüne zur Loge Nr.1 – Ein grossartiges Rio der Emotionen in der Göttlichkeit deines Herzens) konnten sich nur wenige Eingeweihte etwas vorstellen und so warteten alle gespannt auf die Präsentation der angekündigten 35 Kostümgruppen. Und wurden nicht enttäuscht: ein Feuerwerk an Rhythmus kombiniert mit einem Kaleidoskop an intensiven Farben riss auch die Letzten von ihren Stühlen und liess sie zum eingängigen Samba-Enredo mittanzen. Einer der 7 Motivwagen hiess sogar „die Protagonisten des Spektakels“ und da war auch dem letzten klar, dass hier die Leidenschaft und Lebensfreude des Karnevals thematisiert wurde. So wurden z.B. die schönsten Paraden seit der Einweihung des Sambódromos umgesetzt und die Trommlergruppe stellte dabei die allgegenwärtigen Strassenfeger dar, welche nach einer Parade die Wegstrecke blitzschnell von Konfetti und Luftschlangen befreien. Doch neben der Neubelebung vergangener Zeiten nahm ein Allegoriewagen die Zuschauer in eine ferne Karnevalszukunft mit. Die 4.000 Teilnehmer, die nach 81 Minuten zum Bedauern vieler bereits die Ziellinie überschritten, auch danach noch ausgiebig weiterfeiern.
Eine Zeitreise unternahm direkt im Anschluss auch die Sambaschule Unidos de Vila Isabel. Sie präsentierte eine Hommage an den 1910 geborenen Komponisten und Musiker Noel de Medeiros Rosa aus Rio de Janeiro, der massgeblich die Musica Popular Brasileira beeinflusst hat, obwohl er bereits im Alter von 27 Jahren an Tuberkulose starb. Das Motto „Noel: A presença do poeta da Vila“ (Noel: Die Gegenwart des Dorfpoeten) wurde laut den Karnevalisten ausgewählt, da Noel im Viertel Vila Isabel aufwuchs und selbst heute dort noch eine wichtige Figur darstellt. Die 8 Allegoriewagen erinnerten an seine Leidenschaft inmitten des Tanzes, Alkohols, leichten Mädchen, Glückspiels und vor allem des Sambas. Die wichtigen Stationen seines kurzen Lebens waren in der Parade in chronologischer Reihenfolge anzutreffen, 3.800 Teilnehmer aufgeteilt auf 31 Kostümgruppen huldigten den in Brasilien stark geachteten Künstler, der mit 19 Jahren seine ersten Kompositionen veröffentlichte.
Als letzte der 12 Sambaschulen der Grupo Especial und die Sechste der zweiten Nacht zog um gegen 4:15 Uhr die Schule Estacao Primeira de Mangueira ins Sambódromo ein. Unter dem Motto „Mangueira é música do Brasil“ (Mangueira ist die Musik Brasiliens)präsentierte 1928 gegründete Schule mit den Vereinsfarben grün und rosa ein Potpourri an Rhythmus und Leidenschaft, der trotz früher Stunde die rund 80.000 Zuschauer nochmals in Ekstase versetzte. 8 Allegoriewagen, 37 Kostümgruppen mit insgesamt 4.000 Teilnehmern erzählten von der Geschichte der brasilianischen Musik, von Samba und Bossa Nova, von Tropicalia und MPB bis hin zum Rock der 80er Jahre mit seinen grossen Festivals. Hier trat sich ein echter Titelaspirant hervor, der zuletzt 2002 ganz oben auf dem Treppchen stand. Mit gigantische Motivwagen, spektakuläre Kostümen und einzigartiger Kreativität trat sich ein echter Titelaspirant hervor, der mit seiner Präsentation für einen krönenden Abschluss der diesjährigen Sambaparaden von Rio de Janeiro sorgte. Mit diesen Eindrücken behaftet muss man sich einfach bereits jetzt auf das nächste Jahr freuen, wenn wieder die besten Sambaschulen der Stadt nach monatelangen Vorbereitungen für 82 Minuten im Rampenlicht stehen und um den begehrten Titel kämpfen.