Mit dem Auftritt der ersten sieben Sambaschulen der Spezialgruppe im Sambódromo do Anhembi hat der diesjährige Karneval in der Millionenmetropole São Paulo seinen Höhepunkt gefunden. Bis zum frühen Morgen tanzten zehntausende Teilnehmer über die 530 Meter lange und 14 Meter breite Paradestrecke im Herzen der Stadt und liessen unter den farbenfrohen Kostümen auch viel nackte Haut aufblitzen.
Den Anfang der mit Spannung erwarteten Präsentationen machte die Sambaschule Unidos do Peruche kurz vor Mitternacht. Ihre Parade war eine Hommage an das 100-jährige Bestehen des städtischen Theaters und seiner Geschichte „Öffnet den Vorhang, die Show beginnt! 100 Jahre Teatro Municipal de São Paulo, Peruche präsentiert. Bravo! Bravissimo!„. Allerdings hatte das Team mit einigen technischen Schwierigkeiten zu kämpfen, was bereits jetzt den Abstieg aus der Königsklasse bedeuten könnte. Mehrere Wagen konnten nicht wie geplant auf die Strecke gebracht werden, die Reihenfolge musste geändert werden, und als es schliesslich doch noch gelang, kamen die Teilnehmer erst nach 68 Minuten ins Ziel. Damit lagen sie 3 Minuten über der erlaubten Zeit und erhalten dadurch einen Punktabzug. Entsprechend enttäuscht waren dann auch die Verantwortlichen: „Ein ganzes Jahr Arbeit ist zunichte gemacht“ kommentierte Präsentationsleiter Augusto Conceição den Vorfall nach der Parade.
Besser lief es dagegen bei Tom Maior, die als zweite Schule der ersten Nacht in die von Stararchitekt Oscar Niemeyer gestaltete Arena einmarschierte. Die Schule ehrte die im Grossraum der Millionenmetropole gelegene Stadt São Bernardo do Campo mit dem Motto: „Salve, salve São Bernardo, Stück meines Brasiliens – Mutterland der Paulistas„. Man hatte dafür zudem den berühmtesten Einwohner, den ehemaligen Staatspräsident Luiz Inácio Lula da Silva eingeladen, an der Parade teilzunehmen, doch dieser glänzte durch Abwesenheit. Dabei stand ja gerade die industrielle Entwicklung durch die dortigen zahlreichen Automobilwerke und der dort wohnenden Arbeiterklasse im Mittelpunkt der Präsentation. Neben Nacktmodel Dani Sperle, die erneut mehr zeigte als verdeckte, sorgte Adriana Bombom als „Königin der Trommlergruppe“ in einem Leguan-Kostüm für Aufmerksamkeit.
Die Sambaschule Acadêmicos do Tucuruvi widmete ihre Show den „Nordestinos“, den Menschen aus dem ärmeren Nordosten Brasiliens „Oh, Leute – was wären wir ohne jene Leute? São Paulo, Hauptstadt des Nordostens!„. São Paulo sei die Hauptstadt des Nordostens, so auch das Motto der Präsentation in Anspielung an die Zehntausenden, die in den vergangenen Jahrzehnten in die Millionenmetropole gezogen waren, um der Armut in ihrer Heimatregion zu entfliehen. Die gelungene Präsentation dürfte der Schule Bestnoten bringen und mit Recht Hoffnung auf den diesjährigen Titel machen. Besonders die Begrüssungskommission, welche die beschwerliche und lange Reise durch das unerschlossene Hinterland symbolisierte, wurde vom Publikum ausgiebig beklatscht. Aber auch der Allegoriewagen mit einer sieben Meter hohen Skulptur des Komponisten Luiz Gonzaga sorgte für Begeisterung unter den Zuschauern im nicht ganz voll besetzten Sambódromo.
Märchenhaft wurde es dann bei der Präsentation der Sambaschule Rosas de Ouro. Ihr Motto der dieshjährigen Parade lautete „Sesam öffne dich – das Passwort des Glücks„. Mit gewohnt farbenfrohen Kostümen und detailreichen Motivwagen schaffte es die Schule jedoch in letzter Minute, die Parade in der vorgeschriebenen Zeit zu absolvieren. Teilnehmer der Präsentation verteilten zudem Glückskekse an das Publikum. Zigeuner, Ali Baba, Kleeblätter und Feigen waren zusätzliche Elemente, welche die Formel für Glück und Geldsegen symbolisieren sollten. Auch das brasilianische Model Ellen Roche stand wieder der Perkussionsgruppe vor und absolvierte damit im elften Jahr in Folge als „Rainha da Bateria“ die Paradestrecke.
Als fünfte Schule der ersten Nacht sorgte Mancha Verde für Stimmung in der Arena. Mit ihrer Präsentation über die Genies der Menschheitsgeschichte will die Schule endlich einmal den Titel gewinnen „Die Idee eines Genies„. Ein eingängiger Samba-Enredo und eine Begrüssungskommission, die bereits gleich zu Beginn populäre Gestalten wie Albert Einstein, Santos Dumont, Heitor Villa-Lobos, Beethoven oder Shakespeare darstellten, animierten das Publikum. Ein weiterer Höhepunkt waren die Baianas mit ihren berühmten Kleidern, welche Galileu Galilei und seinen Entdeckungen in der Astronomie gedachten. Als Königin der Trommler brachte zudem Viviane Araújo erneut ein erotisches Element und einen echten Hingucker in die Parade an. Als die letzten der insgesamt 3.800 Teilnehmer die Ziellinie überquerten war es bereits wenige Minuten vor sechs Uhr morgens.
Mit Vai-Vai und dem Morgengrauen wurde die Musik nicht nur begleitendes sondern auch thematisches Element einer Parade. „Die Musik hat gewonnen“ lautete das Motto der Präsentation, welche dem Pianisten João Carlos Martins gewidmet war. Der 1940 in São Paulo geborene Musiker war einer der grössten Interpreten der klassischen Werke von Johann Sebastian Bach, verlor jedoch bei einem Unfall bei einem Fussballspiel die Bewegungsfähigkeit in der rechten Hand. Er gab das Klavierspiel auf, wurde Box-Trainer und trotz des zerstörten Nerven, welcher das musizieren faktisch unmöglich machte, kämpfte er sich auf die Bühne zurück und feierte grosse Erfolge. Der 71-jährige Protagonist war selbst im Sambódromo zugegen und gab unumwunden zu, dass er seinerzeit in der Carnegie Hall in New York längst nicht so aufgeregt war wie an diesem denkwürdigen Morgen im Karneval von São Paulo.
Als letzte Schule betrat um 7.13 Uhr Pérola Negra die Paradestrecke mit dem religiösen Motto „Abraham, der Patriarch des Glaubens„. Dass die Präsentation so farbenfroh und detailreich absolviert werden konnte, war dem unermüdlichen Einsatz der vielen freiwilligen Helfer in den vergangenen Tagen zu verdanken. Zahlreiche Allegorien waren nach einem Unwetter in der letzten Woche beschädigt worden, als die Werkstatt der Schule meterhoch unter Wasser stand. Um der Religion gerecht zu werden, war zudem wenig nackte Haut zu entdecken. Der Samba-Eredo erzählte von den Doktrinen des christlichen, jüdischen und islamischen Glaubens, die Begrüssungskommission zeigte Abraham und seine Familie. Bis um 8.13 Uhr und damit genau 60 Minuten dauerte die Parade, deren Allegoriewagen unter anderem die Begegnung Abrahams mit Gott und die Stadt Sodom und Gomorra symbolisierten.
In der kommenden Nacht stehen nun weitere sieben Schulen auf dem Programm, die unter den strengen Augen der Wertungsrichter ihre Parade zu absolvieren haben. Wer den Carnaval do São Paulo in diesem Jahr gewinnt, wird allerdings erst am Dienstag bekannt gegeben.