São Paulo, 06. März 2011 gegangen. Erneut erlebten die Zuschauer im Sambódromo do Anhembi ein Feuerwerk von Klängen und Farben gepaart mit überwältigender Kreativität und knisternder Erotik, welches sich bis weit nach Morgengrauen hinzog.
Nachdem in der Nacht zuvor bereits Unidos do Peruche, Tom Maior, Acadêmicos do Tucuruvi, Rosas de Ouro, Mancha Verde, Vai-Vai und Pérola Negra ihr Können unter Beweis stellten, waren nun weitere sieben Schulen aufgefordert, die 530 Meter lange Paradestrecke zu absolvieren.
Denn Anfang machte kurz nach 23 Uhr Ortszeit die Sambaschule Nenê de Vila Matilde. Die 3.500 Teilnehmer feierten die Rückkehr in die Spezialgruppe mit einer Hommage an das Salz. Salis Sapientiae – Eine Geschichte der Welt lautete daher auch der Titel des Samba-Enredos. Durch die letzte Montage eines Aufbaus an einem Allegoriewagen hatte sich der Einzug ins Sambódromo allerdings rund 40 Minuten verzögert, was bei manchen Teilnehmern die Nerven arg strapazierte. Zu gross war da wohl die Angst, wieder in die zweite Liga abzusteigen, sollte ein technischer Defekt die Präsentation nicht optimal verlaufen lassen. Doch am Ende kam der Tross in der vorgeschriebenen Zeit und ohne weitere Probleme über das Ziel. Die Allegorien erzählten die Geschichte des „weißen Goldes“ mit Abstechern nach China und dem alten Rom, ein Motivwagen zeigte sogar die kristalline Form unter einem gigantischen Mikroskop.
Die Sambaschule Águia de Ouro brachte danach das Feuer ins Sambódromo. Gemäss dem Motto „Unter Hochspannung – der Goldene Adler hat Feuer“ präsentierten die Teilnehmer die Geschichte dieser heute ganz selbstverständlichen exothermen Reaktion. Um jedoch die Hitze auch auf den Zuschauer zu übertragen, war ein Allegoriewagen speziell mit riesigen Bildschirmen ausgestattet worden, auf denen endlos Flammen loderten. Auch ein nachgebildeter 12 Meter hoher Vulkan, der allerdings echte Flammen ausstieß, sorgte für Begeisterung beim Publikum. Für den imaginären Schutz sorgte die Trommlergruppe, deren Teilnehmer sämtlich als Feuerwehrleute verkleidet waren. Denn auch die Gefahren des Feuers wurden thematisiert. So mahnte die Schule die immer noch anhaltenden Brandrodungen im Regenwald an, erinnerte aber zeitgleich auch auf historische Ereignisse wie das von Kaiser Nero angezündete Rom oder die Verbrennung der Jungfrau von Orleans.
Unter dem Motto „Karussell der Illusionen“ verzauberte danach Mocidade Alegre die Zuschauer. Tricks, Täuschungen und kleine Zauberkunststücke standen im Mittelpunkt der Präsentation. Für Aufsehen sorgte zunächst der Samba-Enredo, bei welchen die Trommlergruppe insgesamt dreimal eine kurze jedoch punktgenaue Pause einlegte, damit die 3.500 Teilnehmer gemeinsam mit dem Publikum den Refrain singen konnten. Um die Illusionen zu symbolisieren, die vor allem die kindliche Fantasie beflügeln, war ein Motivwagen der Figur Peter Pan gewidmet, ein anderer Wagen stellte einen Zirkus mit Riesenrad und Karussell dar. Allerdings musste die Sambaschule ihren letzten Motivwagen am Eingang der Paradestrecke stehen lassen. Technische Probleme mit der Konstruktion verhinderten letztendlich die Präsentation des dort montierten und mit Spannung erwarteten gigantischen 3D-Kinos.
Mit einer mehr als luxuriösen Präsentation hatte anschliessend die Sambaschule Unidos de Vila Maria ihren Anspruch auf den diesjährigen Titel angemeldet. Unter dem Motto „Teatro Amazonas: Manaus auf der Bühne“ sahen die Besucher entlang der Wegstrecke eine Hommage an das weltberühmte Opernhaus in der Amazonasmetropole. Die Begrüßungskommission repräsentierte den französischen Dramatiker Molière und öffnete damit den Vorhang für das nachfolgende Spektakel an Kostümgruppen und Allegoriewagen. So wurde unter anderem darauf hingewiesen, dass Manaus während des Kautschuk-Booms zum „Paris der Tropen“ avancierte. Aber auch der dortige Regenwald war ein Thema der Präsentation. Besonders beachtet wurde auch Larissa Riquelme aus Paraguay, die während der Fussball-Weltmeisterschaft 2010 weltweit für Aufsehen sorgte. Aufgrund ihres Kostüms versteckte die „Musa da Copa“ bei ihrer Premiere im Karneval von São Paulo ihr Handy zum Leidwesen ihrer Fans allerdings nicht in ihrem Ausschnitt.
Im Mittelpunkt der Parade der Sambaschule X-9 Paulistana stand dann der brasilianische Humorist und Komiker Renato Aragão, besser bekannt als „Didi“ mit dem Thema: „Vom ewigen Kind zum Botschafter der Hoffnung . . . Renato Aragão, Didi Trapalhão!“ Neben zahlreichen Anspielungen auf die verschiedenen Sendungen, mit denen er im Fernsehen landesweit bekannt wurde, zeichneten die Karnevalisten der Schule auch ein Bild seines Bundesstaates Ceará im Nordosten Brasiliens. Natürlich war der inzwischen 76-jährige Protagonist auch persönlich zugegen und winkte unter einer Nachbildung der Jesus-Statue dem Publikum vom letzten Motivwagen zu. Der eingängige Refrain des Samba-Enredos ließ zudem noch bessere Stimmung aufkommen und animierte das Publikum zum Mitsingen. Auch viele Freunde, Kollegen und Angehörige von Aragão nahmen an der Parade teil, die wie gewohnt durch die Begrüßungskommission eröffnet wurde. Hier bildete die Gruppe das Gesicht des Künstlers nach, auf den Regenschirmen waren zudem die Buchstaben seines Namens zu lesen.
Als vorletzte Schule der diesjährigen Paraden marschierte gegen 5:15 uhr am frühen Morgen die Sambaschule Gaviões da Fiel ins Sambódromo ein. Der Adler, Wahrzeichen des Traditionsvereins, war in gewohnter Manier auf dem ersten Motivwagen zu finden, der nicht nur die Flügel bewegte sondern sogar Töne von sich gab. Als Thema hatte sich die Schule das arabische Emirat Dubai mit seinen Naturschönheiten, modernen Wahrzeichen und vor allem den uralten Mythen ausgesucht „Aus Perlenmeer und Wüstensand zur Stadt der Zukunft – Dubai, der Traum des Königs Maktoum„. Ein überdimensionales Baby demonstrierte die Zukunft der Stadt, die natürlich auch über ihre Architektur und Touristenattraktionen vorgestellt wurde. Die künstlichen Inseln, der sich derzeit im Bau befindliche gigantische Freizeitpark Dubailand und die spektakulären Wolkenkratzer waren genauso in der Präsentation vertreten wie Bauchtänzerinnen, Beduinen und andere Wüstenvölker.
Den Abschluss einer langen Nacht bildete ab etwa 6:30 Uhr die Sambaschule Império de Casa Verde mit ihrem diesjährigen Motto „Samba mit Biergeschmack. Bewundert seit Jahrtausenden, die neue nationale Sensation„. Und damit drehte sich natürlich alles um den beliebten Gerstensaft und dessen Historie. Vom alten Ägypten bis in die heutige Zeit reichte die Retrospektive, vorgestellt auf fünf Motivwagen und in über 20 Kostümgruppen. So sahen die Zuschauer eine Begrüßungskommission, die den „Rausch der Götter“ symbolisierte sowie überdimensionale Wikinger samt einem 11 Meter hohen nordischen Gott Thor, die sich ebenfalls alle dem beliebten Getränk hingaben. Aber natürlich war auch die deutsche Braukunst, welche erstmalig in der Weltgeschichte durch das Reinheitsgebot klare Regeln für die Herstellung aufstellte, Teil der gelungenen Präsentation.
In den beiden kommenden Nächten stehen nun die noch luxuriöseren Samba-Paraden in Rio de Janeiro auf dem Programm. Neun der 12 teilnehmenden Schulen kämpfen dort mit Leidenschaft und Lebensfreude um den begehrten Titel in der absoluten Königsklasse des Carnaval do Brasil. Wer allerdings den Sieg mit nach Hause nehmen kann, wird erst am Mittwoch bekannt gegeben. Die Veröffentlichung der Wertung in São Paulo ist hingegen schon für Dienstag vorgesehen.