Mit den Präsentationen der letzten sechs Sambaschulen der „Grupo Especial“ in Rio de Janeiro nahm der Karneval in Brasilien am frühen Dienstagmorgen ein mehr als farbenfrohes Ende. Das Sambódromo Marquês de Sapucaí war erneut Schauplatz des Mega-Spektakels, bei dem die Sambaparaden nicht nur zehntausende Zuschauer in der Arena sondern auch Millionen Menschen weltweit begeisterten.
Wie gewohnt war die Paradestrecke innerhalb von 82 Minuten zu bewältigen, aufgrund eines Feuers in der „Cidade do Samba“, bei dem tausende Kostüme und zahlreiche Motivwagen der Schulen Portela, União da Ilha Govenador und Grande Rio vernichtet wurden, entschied man jedoch, die Regeln ein wenig abzuändern. Die drei betroffenen Sambaschulen nahmen zwar teil, wurden jedoch nicht gewertet. Zudem muss auch keine Schule der „Spezialgruppe“ bei der Wertungsvergabe am Mittwoch befürchten, in die „Aufstiegsgruppe“ abzusteigen. Die Vereinigung der Sambaschulen hatte einstimmig beschlossen, dieses Verfahren in diesem Jahr auszusetzen und dann im kommenden Jahr zwei Schulen statt wie gewohnt eine Schule in die niedere Klasse zu verbannen.
Nachdem am Vortag bereits die Sambaschulen São Clemente, Impératriz Leopoldinense, Portela, Unidos da Tijuca, Vila Isabel und Mangueira ihre Paraden absolvierten, war es an der União do Ilha Governador, das Publikum auf eine lange Nacht einzustimmen. Unter dem Motto „Das Mysterium des Lebens“ zeichnete die durch den Brand beeinträchtigte Schule das Leben und die Reise Darwins nach. Von seiner Kindheit und die Neugier nach Wissen über die Entdeckung seltsamer Lebensformen im Meer, die Beobachtung von fleischfressenden Pflanzen bis hin zu den einzigartigen Tieren auf den Galapagos-Inseln spannte die Schule ihren thematischen Bogen. Gigantische Insekten als Allegoriewagen rundeten die Präsentation ab, die aufgrund des farbenfrohen, luxuriösen und professionellen Auftritts eine Wertung nicht zu scheuen bräuchte.
Die Sambaschule Salgueiro verwandelte danach das Sambódromo in ein gigantisches Filmset. Die 75.000 Zuschauer feierten gemeinsam mit der 4.000 Teilnehmern auf Strecke das Motto „Die Stadt Rio im Kino„. Die Trommlergruppe war als Tropa de Elite verkleidet, Spiderman kämpfte gegen ein gewaltiges Dengue-Moskito und King Kong kletterte am Turm des berühmten Bahnhofs „Central do Brasil“ hinauf. Zu Beginn konnten die Zuschauer bereits einen Kinosaal mit 24 Sitzplätzen und einer grossen Leinwand bewundern, auf der nicht nur Film-Trailer liefen sondern auch Livebilder von den Zuschauertribünen eingespielt wurden. Alles schien perfekt zu laufen, doch hinter den Kulissen hakte es gewaltig. Ein Wagen fing Feuer, ein anderer klemmte und zu guter Letzt überzog die Schule die vorgeschriebene Zeit von 82 Minuten. Für jede Minute bekommt sie dafür nun 0,1 Strafpunkte aufgebrummt, die unfreiwillige Zugabe für die Zuschauer betrug am Ende ganze 10 Minuten.
Unter dem Motto „Parabel der göttlichen Sämänner“ zog anschliessend Mocidade Independente de São Miguel ins Sambódromo ein. In ihrer Parade ging es um alte und junge Rituale in Zusammenhang mit der Natur. So wurden unter anderem der heilige Stier Apis aus dem alten Ägypten und Bacchus, der römische Gott des Weines auf den Motivwagen dargestellt. Die Begrüßungskommission demonstrierte, wie die Natur im Frühling wieder zum Leben erwacht und Blütenknospen die verbliebenen Eiskristalle des letzten Winters verdrängen. Auch wenn Karneval heute im christlichen Sinne als Beginn der Fastenzeit gefeiert wird, stand doch in der Antike das Frühlingserwachen im Mittelpunkt. Dass daraus sich dann irgendwann das heutige Fest entwickelt hat, zeigte die Schule am Ende der Parade mit einer ausgelassen feiernden Kostümgruppe. Die Zuschauer im Sambódromo beklatschten die Präsentation ausgiebig und liessen sich vom extrem eingängigen Samba mitreissen.
Als vierte Schule der zweiten Nacht war die Sambaschule Grande Rio aufgefordert, ihr Können unter Beweis zu stellen. Dass die Schule allerdings überhaupt eine Parade abliefern konnte, grenzt an ein Wunder. Sämtliche Allegoriewagen und zahllose Kostüme waren durch das Feuer zerstört worden, und nur durch die gemeinsame Anstrengung Aller konnte innerhalb von 24 Tagen der grösste Teil rekonstruiert werden. Unter dem Motto „Y-Jurerê Mirim – Die bezaubernde Insel der Hexen (Eine Erzählung von CASCAES)“ präsentierten die knapp 4.000 Teilnehmer die von Franklin Cascaes (1908-1983) aufgezeichneten Mythen und Legenden von Florianópolis im Bundesstaat Santa Catarina. Hexen, Werwölfe, schwarze Magie und Zufluchtsorte vor bösem Zauber – alle diese Elemente waren für die Zuschauer perfekt aufbereitet worden. Zudem ehrte die Schule den wohl berühmtesten Einwohner der Insel: den Weltklasse-Tennisspieler Gustavo Kuerten, der selbst anwesend war und aus einem überdimensionalen Pokal heraus Tennisbälle ins Publikum schoss.
Mit Porto da Pedra zog der vorletzte Teilnehmer des diesjährigen Spektakels ins Sambódromo ein. Die Parade der Sambaschule stand unter dem Motto „Der Schlaf überkommt stets den, der träumt…“ und war eine Hommage an die Schriftstellerin und Dramaturgin Maria Clara Machado. Die Zuschauer sahen eine unglaublich multikoloride Show mit den wichtigsten Werken der Autorin, die verschiedenen Motivwagen und Kostümgruppen erstrahlten intensiv in den unterschiedlichsten Farben. Hauptattraktion war unumstritten die Hauptfigur aus ihrem bekanntesten Theaterstück „Pluft, das kleine Gespenst“. Dieses schwebte die ganze Zeit über der Rhythmusgruppe und spielte mit dem Publikum. Realisiert wird die Aktion mit einen riesigen Gasballon, der von mehreren Personen am Boden gesteuert wurde. Die Sambaschule hofft nun, mit der durchweg gelungenen Präsentation endlich einmal den begehrten Titel in der Spezialgruppe mit nach Hause nehmen zu können.
Ebenfalls mit einer Hommage präsentierte sich die Sambaschule Beija-Flor dem Publikum im Sambódromo. Unter dem Motto „Die Einfachheit eines Königs“ zeichnete die Schule das bisherige Leben und Wirken des brasilianischen Künstlers und Komponisten Roberto Carlos nach. Der äußerst populäre Musiker war selbst auf dem letzten Wagen mit von der Partie und wurde von den Zuschauern euphorisch gefeiert. Zuvor waren viele Freunde und Kollegen an den Tribünen vorbei gezogen, darunter das Sertaneja-Duo Bruno e Marrone und die Samba-Sängerin Alcione. Aber auch sein ehemaliger Partner Erasmos Carlos hatte einen Ehrenplatz auf einem der Allegoriewagen, die gewohnt detailversessen und farbenfroh gestaltet waren. Viel Applaus gab es auch für die Begrüßungskommission, bei der ein kleiner Junge versuchte, einem Radio Musik zu entlocken. Dies sollte die Wiege der späteren Inspiration von Roberto Carlos darstellen, der mittlerweile seit mehr als 40 Jahren erfolgreich auf der Bühne steht.
Mit dem hereingebrochenen Morgen endete damit die zweite Nacht der Sambaparaden in Rio de Janeiro. Nun warten die neun gewerteten Schulen mit Spannung auf die Bekanntgabe der Noten am Mittwoch. Am kommenden Wochenende finden dann noch die großen Siegerparaden zum Abschluss des diesjährigen Karnevals statt, faktisch direkt danach beginnen schon wieder die Vorbereitungen für die kommende Kampagne, die dann am 19. und 20. Februar 2012 ihren Höhepunkt findet.