Die ersten 7 Samba-Schulen der „Grupo Especial“ (Spitzengruppe) haben ihre Parade zum diesjährigen Karneval im Sambadrom von Sapucaí, Rio de Janeiro, beendet. Bis zum Tagesanbruch tanzten zehntausende Teilnehmer über die 530 Meter lange und 14 Meter breite Paradestrecke und liessen ihren Emotionen freien Lauf.
Allerdings ist dabei, unter anderem, die Regel zu beachten, dass jede dieser Paraden innerhalb von 82 Minuten abgewickelt werden muss, sonst vergeben die Juroren Strafpunkte.
Renascer bringt die Farben des Malers Romero Brito zur Sapucaí
Sie wurde Champion der Aufsteiger im vergangenen Jahr 2011, die Samba-Schule Renascer de Jacarepaguá (Auferstehung von Jacarepaguá), und eröffnete deshalb in diesem Jahr den Karneval der Samba-Elite von Rio de Janeiro – allerdings glänzte sie, über ihre rot-weissen Vereinsfarben hinaus, mit einer faszinierenden Farbpalette zu Ehren des brasilianischen Malers Romero Britto, geboren in Recife, der inzwischen in Miami residiert.
Romero Brittos Pop-Art-Bildern wird mittlerweile internationale Anerkennung zuteil. Die lebendigen Farben, die in seinen Werken vorherrschen, gaben der “Renascer“-Parade ihr besonderes Flair – angefangen bei der “Front-Kommission“, die mit riesigen Farbtöpfen, in Referenz auf die Quellen des Künstlers, aufwartete.
Der Karnevalist Édson Pereira betitelte den ersten allegorischen Wagen mit “Transcendência da Criação“ (Transzendenz der Schöpfung) – als Präsentation der göttlichen Kraft und Inspiration. Der Wagen war bestückt mit etlichen LED-Leinwänden, die eingeschaltet, den Wagen in immer neue Farben tauchten.
Der zweite Wagen “Conhecimento Vivo“ (Lebendiges Wissen) zitierte die Einflüsse und das angehäufte Wissen des Künstlers im Lauf seiner Ausbildung. Die “Medusa“, geschaffen von dem italienischen Maler Caravaggio, beherrschte die Szenographie des Wagens so plastisch, dass sie aus dem Rahmen zu springen schien.
Auf dem dritten Wagen dann der erste direkte Hinweis auf die besonderen Formen und Farben des in Recife geborenen Malers. Betitelt mit “O Dom da Alegria Explode na Folia“ (Das Talent der Freude explodiert beim Carneval) präsentierte ein grosses Herz, das sich in mehreren Werken von Romero Britto wiederfindet.
Die Begegnung des Künstlers mit seinen Bewunderern und Klienten geschah dann symbolisch auf dem vierten allegorischen Wagen, betitelt “A arte do consumo e o consumo da arte“ (Die Kunst des Konsums ist der Konsum der Kunst). Der fünfte Wagen “Alô Romero Britto: aquele abraço! “ (Hallo Romero Britto, wir umarmen Dich) präsentierte einen stilisierten Christus nach Art seiner Werke, zusammen mit vielen anderen Einzelheiten eines von ihm gestalteten Rio de Janeiros.
Der Künstler selbst präsentierte sich als Höhepunkt auf dem sechsten Wagen, betitelt mit “Pelo filho de seu chão, Pernambuco é explosão em plena Sapucaí“ (Durch den Sohn seiner Erde, explodiert Pernambuco auf der Sapucaí). Dieser Wagen, der bereits von verschiedenen “Alas“ (Themengruppen) angekündigt worden war – mit Referenzen auf den “Frevo“ (typischer Tanz Pernambucos) und anderen Dingen, die den Geburtsort des Künstlers charakterisieren – war über und über dekoriert mit pernambukanischen Referenzen. Nach der Parade zeigte sich der Künstler gerührt. Er sagte, dass die Parade “wunderschön“ war, und dass er “die ganze Nacht weinen“ würde.
Patrícia Nery, die Perkussions-Königin der Samba-Schule “Renascer” erzählte, dass sie dreieinhalb Stunden gebraucht habe, um sich für die Parade in der “Grupo Especial“ zurechtzumachen. Wie sie weiter ausführte, hatte das von ihr getragene Kostüm um die 40.000 Reais (zirka 17.000 Euro) gekostet – an ihm wurden 5.000 rote Steine verarbeitet.
Die “Muse“ der Schule, Andrea Machado, offenbarte, dass sie sich einer “subkutanen Carbixitherapie“ und verschiedenen “Lymphdrainagen“ unterzogen habe, um ihren Körper für die Parade in Form zu halten. “Ich habe viel trainiert und mir viel Zeit genommen für ästhetische Behandlungen. Darüber hinaus hab’ ich Diät gehalten und in der Aerobic auf die Tube gedrückt“, sprudelte sie heraus.
Die Portela feiert Clara Nunes und bringt den Karneval vom Pelourinho zur Sapucaí
In der ersten Nacht der “Grupo Especial“ beim Karneval von Rio de Janeiro, wurde die Avenida Marquês de Sapucaí vereinnahmt von den Farben Bahias in der Parade der Sambaschule Portela – die zweite Samba-Schule auf dem Laufsteg des Sambadroms. Mit einem Thema zu Ehren der Sängerin Clara Nunes, die in diesem Jahr 2012 siebzig Jahre alt geworden wäre, erschien die Samba-Schule mit den meisten Titeln des cariocanischen Karnevals, auf der Avenida – mit Ikonen der bahianischen Kultur, wie zum Beispiel “Afoxé“ und “Olodum“, sowie der Sängerin Daniela Mercury.
Daniela hatte sich quasi geteilt zwischen Rio und Salvador, um auf der Sapucaí erscheinen zu können und zum ersten Mal persönlich an einer hiesigen Parade teilzunehmen. Auf dem Wagen “O Canto da Cidade“ (Der Song der Stadt), zu Ehren eines ihrer ersten grossen musikalischen Erfolge, vermittelte sie im Sambadrom von Rio einen Hauch des bahianischen Karnevals und seiner Trios-elétricos.
Mit dem traditionellen Ruf “Vai na Ginga, Portela“! eröffnete der Vorsänger Gilsinho die Parade dieser heissen Nacht im Sambadrom und trieb seine Truppe mit dem Themen-Samba “E o povo na rua cantando. É feito uma reza, um ritual…” (Und das Volk auf der Strasse singt. Es folgt ein Gebet, ein Ritual . . .) – einer der Sambas mit der besten Kritik dieses Karnevals. Gilsinho ist der Sohn des renommierten Jorge do Violão (Gitarrenspieler), Mitglied der “Alten Garde“ (Senioren) der “Portela“. Er ist ein talentierter Musiker – spielt Kontrabass, Banjo, Ukulele, Gitarre und Schlagzeug.
Im vergangenen Jahr war die “Portela“ eine der drei Samba-Schulen in Rio, die ihre Parade ohne einen Anspruch auf den Titel präsentierten – nachdem ein Grossbrand Teile ihrer Kostümbestückung vernichtet hatte. Als Halterin der meisten Karnevalstitel insgesamt, hat sie nun fast drei Jahrzehnte ohne Sieg hinter sich – ihr letzter war 1984.
Clara Nunes wurde bei der Portela-Parade interpretiert von der Sängerin Vanessa da Matta, die ihre Emotionen während der Parade nicht zurückhielt. “Es ist ungeheuer aufregend“, sagte Vanessa, mit einer Krone aus Muscheln und in einem Kleid mit Spitzen besetzt, einem dem typischen Auftreten von Clara Nunes in allen Details angepassten Stil.
“Ich liebe die Portela, und Clara Nunes ist eine Ikone der brasilianischen Musik. Eine Frau, die der Religion Ausdruck gab, wie niemand sonst, und die Afro-Kultur verbreitete. Es ist erschütternd für mich, einen Mythos zu verkörpern. Ich bin mit der Musik von Clara Nunes aufgewachsen, und jetzt diese Künstlerin zu verkörpern – selbst nur für ein paar Minuten – ist ein Traum. Sie ist eine Sängerin, die nicht nur für Brasilien, sondern die ganze Welt von Bedeutung ist“, sagte Vanessa.
Weitere gewichtige Persönlichkeiten der brasilianischen Musik nahmen an der Parade der Portela teil. Zusammen im Eröffnungswagen “Abre-Alas“ die Musiker Paulinho da Viola und Marisa Monte – wieder einmal paradierten sie für die Samba-Schule ihres Herzens.
“Unser Samba ist bereits in aller Munde“, sagte die Sängerin nach der Parade. In der Allegorie der traditionelle Adler, das Symbol der “Portela“ – diesmal in verschiedenen Goldtönen für den Karneval 2012. “Eine enorme Emotion – ich erwarte dass wir das Publikum mitreissen“, bemerkte Paulinho da Viola.
Die Parade selbst war eine Kreation des Karnevalisten Paulo Menezes, der als eine der Entdeckungen des Rio-Karnevals gilt, und der zum Star der “Portela“ aufstieg, nachdem er die “Porto da Pedra“ verlassen hatte. Zur Parade auf der Avenida hielt er sein Versprechen, die Schule in bunte Farben zu tauchen, weit über die traditionellen blau-weissen Vereinsfarben hinaus. Menezes hat bereits verschiedene Samba-Schulen der “Grupo Especial“ durchlaufen – wie zum Beispiel die “Império Serrano“ und die “Mocidade“.
Die “Bateria da Portela“ (Percussions-Gruppe), dirigiert von Maestro Nilo, brachte “Atabaques“ mit ein, um den typischen Rhythmus des “Afoxé“ der “Filhos de Gandhy“ zu imitieren, jener traditionellen Gruppe aus Bahia. Hier war Kreativität gefragt, um das Gewicht der Instrumente beim Marschieren zu meistern: Man hatte ihnen kleine Rädchen verpasst, und die Musiker schoben sie so vor sich her.
Gerührt und in Tränen aufgelöst konnte man Sheron Menezzes vor der Perkussions-Front beobachten, ihre Königin, die ihre Schönheit verstrahlte und unter dem Applaus des Publikums einen gekonnten Samba hinlegte.
Eine weitere feminine Augenwaide war die Muse Vânia Love, Schwester des Fussballers Wagner Love, deren Samba und besonders ihre Ausstattung “Eu sou o céu para suas tempestades“ (Ich bin der Himmel für Deine Stürme) die Zuschauer entzückte. Sie brachte die Zuschauer dazu, einige Afro-Schritte mit ihr zu improvisieren. “Wie Bahia, so feiert auch die Portela heute. Unser Samba ist herrlich, und die Schule ist so stark wie nie“, sagte sie.
Die Imperatriz präsentiert das Jahrhundert von Jorge Amado in ihrer Parade
Die Imperatriz Leopoldinense betrat die Marquês de Sapucaí als dritte Samba-Schule in dieser ersten Karnevalsnacht 2012 von Rio de Janeiro. Mit dem Star-Mannequin Luiza Brunet an der Spitze der “Bateria“ (Perkussions-Gruppe), erzählte die Schule aus dem Leben des bahianischen Schriftstellers Jorge Amado. Der Verein hatte allerdings bereits Probleme vor dem Beginn seiner Parade. Der zweite Wagen hatte Schwierigkeiten in der Steuerung und auch der siebente musste noch vor Beginn repariert werden.
Nachdem die Probleme beseitigt waren, konnte der Karnevalist Max Lopes endlich zeigen, wie er seinen Verein vorbereitet hatte, um diesmal über den Sechsten Platz des Jahres 2011 hinaus zu kommen.
Schon in der Front-Kommission präsentierte die Schule eins der berühmtesten Werke des Schriftstellers: Die “Capitães de Areia“ (Sand-Kapitäne). Die Gruppe entwickelte das Thema mit Pirouetten in Form eines Karussells, um die Abenteuer der Knaben zu charakterisieren, die in den 30er Jahren stehlen mussten, um in den Strassen von Salvador zu überleben. Die Choreographie ist von Alex Neoral – sie wurde vom Publikum heftig applaudiert.
Der Eröffnungswagen “Abre-Alas“ war dem Meer gewidmet, ewiger Inspirationsquelle des Jorge Amado – das Meer von “Yemanjá“ und die Krone von “Oxalá“ symbolisierten Höhepunkte seiner Inspiration.
Der zweite Wagen präsentierte eine der bekanntesten Sehenswürdigkeit aus Salvador, die “Igreja de Bonfim“ (Kirche). Die Replika des Gotteshauses hatte halbtransparente Wände und war phantastisch beleuchtet. Über diesem Symbol demonstrierten lebende Figuren die bekannte, alljährlich stattfindende “Reinigung der Treppe des Bonfim“. Dieses Ritual wurde von Jorge Amado in seinen Geschichten verwendet.
Der dritte Wagen wurde präpariert im Gedenken an die Ausbildung des jungen Schriftstellers und um die Rassenmischung des brasilianischen Volkes zu demonstrieren. Der vierte allegorische Wagen erinnerte an den “Mercado Popular“ (volkstümlicher Markt) – auf ihm wurden besonders das bahianische Kunsthandwerk und die afro-brasilianische Küche der “Baianas“ geehrt.
Einige der bekanntesten Werke des Schriftstellers hatte man auf dem fünften Wagen der Schule zusammengestellt, die “Crônicas de uma cidade do interior“ (Chroniken einer Stadt des Interiors). Persönlichkeiten wie “Quincas Berro D’Água, Gabriela” und “Dona Flor” hatte man hier als Skulpturen dargestellt.
Die Parade verlief nach den erwähnten Anfangsschwierigkeiten ohne weitere Zwischenfälle und marschierte über die Avenida auch ohne Verspätungen – als kleiner Lapsus war ein zu beklagen, dass eins der Gebäude-Repliken des “Pelourinho“ zusammenstürzte.
“Jedes Jahr mit einem unterschiedlichen Thema erfordert auch eine unterschiedliche Energie“, so äusserte sich Luiza Brunet, Königin der Perkussions-Gruppe der “Imperatriz“. Sie, die zum 17. Mal beim Karneval paradiert, musste einen kurzen Absturz ihres Blutdrucks verkraften – aber sie gab Entwarnung: “Ist schon wieder alles in Ordnung“!