Das Nachrichtenportal „Agência Brasil“ hat in Partnerschaft mit “Rádio Nacional“ und “TV Brasil“ mit einer Serie über den Einfluss der afrikanischen Kultur auf den brasilianischen Karneval gestartet. Die Equipen haben fünf Städte besucht – Rio de Janeiro, Salvador, São Luís, Florianópolis und Recife – um zu demonstrieren, wie die Musik, der Rhythmus und die Kunst der schwarzafrikanischen Völker das populärste Fest Brasiliens inspiriert haben. Die vorliegende Reportage behandelt die Bedeutung der Afrikaner bei der Einführung des Samba in Rio.
Der “Samba Carioca“ wurde in den 1920er Jahren in Rio de Janeiro eingeführt. Seine Wiege stand an der “Praça Onze“, einem öffentlichen Platz, der als Hochburg der Nachfahren ehemaliger Sklaven berühmt und berüchtigt war. Das Haus von Tia Ciata, Umbanda-Priesterin und Köchin, war der Ort der Versammlung von Künstlern jener Kommune, die sich mit den Rhythmen ihrer “Mutter Afrika“ zu vergnügen pflegten – und dort wurde auch jener Samba geboren, der als erster 1916 auf einer Single erschien: Sein Titel “Pelo Telefone“ (durchs Telefon), von Donga und Mauro de Almeida – so erzählt es das Buch “A História do Carnaval Carioca“, von Eneida de Moraes.
Am Anfang bestanden die so genannten “Cordões“ (Karnevals-Gruppierungen) aus Gruppen Maskierter und einer Percussion-Band – später gesellten sich “Porta-estandarte“ und “Mestre-sala“ (Standartenträgerin und Zeremonienmeister) zu ihnen. Die erste Samba-Schule “Deixe Falar“ (Lass mich reden) wurde dann 1928 gegründet, im Stadtteil der Bohemiens “Estácio“. Und die erste offizielle Parade der Samba-Schulen, auf demselben Platz “Praça Onze“, fand 1933 statt.
Die afrikanische Kultur ist die Mutter der brasilianischen Rhythmus-Kultur. Der Zweivierteltakt des “Surdo“, einer grossen Trommel, dem fundamentalen Instrument unserer Percussion in jeder Samba-Schule, ist auch das Instrument der “Orixás“, der afrikanischen Naturgottheiten“, argumentiert der Radioreporter Adelzon Alves, Spezialist in Sachen Samba.
Damals waren die Paraden bei der Elite und den Medien nicht gern gesehen. “Es war üblich, dass die Polizei die Paraden störte. Sie sagten, dass die “Sambistas“ Vagabunden seien. Einmal, um die Parade der Samba-Schule “Mangueira” zu schützen, lud Cartola die Leute von der Münzprägeanstalt ein – alle in Anzug und Krawatte. Als die Polizei eintraf, kontrollierte sie nur die Ausweise und zog sich dann zurück. Die “Sambistas“ mussten beweisen, dass der Samba mit Kultur zutun hat“, erzählt der Komponist, Radiosprecher und Forscher der Afro-Kultur, Rubem Confete, Autor des siegreichen KarnevalsThemas von 1973: “Uma Certa Negra Fulô“, der Samba-Schule aus São Paulo “Camisa Verde e Branco“.
Erst vierzig Jahre nach den ersten Paraden begannen die Themen-Sambas aus der schwarzafrikanischen Kultur zu erzählen. Der Journalist, Komponist und Forscher der Brasilianischen Volksmusik, Sérgio Cabral, erinnert sich, dass bis Ende der 1950er Jahre die mit den Paraden Geehrten alles Persönlichkeiten aus der offiziellen Geschichte gewesen sind. “Figuren wie der “Duque de Caxias“ – Figuren aus der nationalbrasilianischen Geschichte. Erst später wurden die Themen progressiver“.
Der wahre Charakter des Samba
“Anfangs trugen die Afrikaner weisse Perücken, Kostüme in europäischem Stil des 18. Jahrhunderts und portraitierten Persönlichkeiten, die sie nicht einmal kannten“, erklärt der Historiker der Brasilianischen Volksmusik, Ricardo Cravo Albin. “Ab der 1960er Jahre gingen dann die Paradierenden dazu über, sich selbst darzustellen und jene Menge zu ehren, die sich in einer Samba-Schule engagierte und bisher noch nie erwähnt worden war“.
Einer der Pioniere hinsichtlich historischer afrikanischer Themen war der Karnevalist Fernando Pamplona. 1960 erzählte er die Geschichte aufständigen Sklavenführers “Zumbi dos Palmares“ in seiner Parade. “Er und „Xica da Silva und Xico Rei“ sind einige seiner Themen, welche die Geschichte von Afrikanern erzählen, die bis dato niemand zu erzählen wagte. Sogar die Afrikaner selbst kannten sie nicht“, hebt Rubem Confete hervor.
Drei Jahre später war es soweit, dass Fernando Pamplona und Arlindo Rodrigues mit dem Thema “Xica da Silva“ Karnevalsgeschichte schrieben – mit der von Anescar do Salgueiro und Noel Rosa de Oliveira komponierten Musik. Der Samba erschien auf der Titelseite des Magazins “Destaque“, machte Isabel Valença als erste Interpretin unsterblich und gewann den Preis des Munizipal-Theaters.
Die Geschichte der befreiten Sklavin, die die Geliebte eines portugiesischen Diamantenaufkäufers wird, schockierte all jene, die der Parade des “Salgueiro“ auf der Avenida Presidente Vargas beiwohnten, der neuen Karnevalsbühne zu jener Zeit. “Xica da Silva war ein spektakuläres Thema. Von da an gingen die “Salgueiro“ und andere Samba-Schulen dazu über, die afrikanische Kultur und Kunst, sowie ihre Persönlichkeiten und Definitionen, öfter in ihre Parade-Themen einzubinden“, erinnert Albin.
“Schliesslich entsann man sich und ehrte man auch die für den Karneval Verantwortlichen, die Macher der Samba-Schulen“.
Andere Sambas, die die Geschichte des Karnevals von Rio de Janeiro prägten, waren “Navio Negreiro” (Das Sklavenschiff), von Amado Régis und Djalma Sabiá, der Schule “Salgueiro” (1957) – “O Negro na Senzala” (Der Neger in der Senzala), von Darcy da Mangueira und der Schule “Unidos da Tijuca” (1958) – “Leilão de Escravos” (Sklavenmarkt), von Cici, Mauro Afonso und Urgel de Castro und der Schule “Unidos da Tijuca” (1961) – “Magia Africana No Brasil e Seus Mistérios” (Afrikanische Magie in Brasilien und ihre Mysterien), von Gambazinho aus der Schule “Unidos da Tijuca (1975) – “Sublime Pergaminho” (Heiliges Pergament), von Carlinhos Madrugada, Nilton Russo und Zeca Melodia, der Schule “Unidos de Lucas” (1968) – “Heróis da Liberdade” (Helden der Freiheit), von Mano Décio da Viola, Manoel Ferreira und Silas de Oliveira, der Schule “Império Serrano” (1969) und “Valongo”, von Djalma Sabiá, aus der Samba-Schule “Salgueiro” (1976).
Für Albin kam die Explosion der Afro-Kultur im Jahr 1988, mit der Parade der Samba-Schule “Vila Isabel” zu Ehren von “Zumbi dos Palmares” unter dem Thema “Kizomba – a Festa da Raça” (Kizomba – das Fest der Rasse), Champion des Karnevals in jenem Jahr. Themen wie die Apartheid in Südafrika, die Befreiung der Sklaven, Ausdrücke des “Candomblé“ und Rituale der schwarzafrikanischen Kultur werden im Themen-Samba zitiert. “Das war die schönste Parade aller Zeiten, die ich je erlebt habe. Und dazu muss man wissen, das ich 42 Jahre lang, ohne Unterbrechung, bei allen Paraden der Samba-Schulen dabei war“, betont Ricardo Cravo Albin.