Schokolade, Matterhorn, Wilhelm Tell und vielleicht sogar Roger Federer höchstpersönlich – im Karneval von Rio de Janeiro 2015 will sich die Schweiz ins Gedächtnis eines weltweiten Millionenpublikums tanzen. Keine geringere Sambaschule als Unidos da Tijuca hat als Thema die Geschichte der Eidgenossen gewählt, Kostüme und Allegorien kreiert, einen entsprechenden Samba-Enredo getextet und sich die Unterstützung des schweizerischen Fremdenverkehrsamtes gesichert.
Unter dem Motto „Eine Geschichte geprägt von der Zeit“ werden in Ehrung des 2005 verstorbenen brasilianischen Karnevalesken mit Schweizer Wurzeln Clovis Bornay an Rosenmontag vermutlich fast 4.000 Teilnehmer auf der Paradestrecke im Sambódromo Marquês de Sapucaí im Herzen der Millionenmetropole auflaufen. Die Traditionsschule konnte nicht nur in den letzten fünf Jahren gleich drei ihrer insgesamt vier Titel in der Spezialgruppe gewinnen, mit dem weissen Kreuz auf rotem Grund will man nun auch erneut den Titel verteidigen. Dafür hat man sich nicht nur die Schweizer Botschaft als auch die „Präsenz Schweiz“ beratend ins Boot geholt, multinationale Unternehmen wie Nestlé, Novartis, Syngenta, UBS, Victorinox finanzieren unter anderem das millionenschwere Unterfangen im Hexenkessel der von Stararchitekt Oscar Niemeyer gestalteten Arena.
Der Tourismussektor erhofft sich Impulse zwischen Bern und Basel, die Konzerne eine positive Außenwirkung im größten Land Südamerikas. Gerade letztere sind nicht unbedingt beliebt, sei es aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen, Umweltzerstörung, Genforschung oder Korruption. Gut 5 Millionen Franken will das Konglomerat aus Bundesstellen und Privatwirtschaft in die gut 80 Minuten dauernde farbenfrohe Präsentation stecken. Dies entspricht gut der Hälfte des Gesamtbudgets, welches ansonsten durch städtische Zuwendungen, Einnahmen aus den TV-Übertragungsrechten und anderen Spenden für die Sambaschule finanziert wird.
Im Defilee kommen dann die markanten Eckpunkte des europäischen Binnenstaates zum Einsatz. Schweizer Mythen über Schnee und Eis, Ausflüge in die Welt der Uhren-Manufakturen, Hochtechnolgie wie die Europäische Organisation für Kernforschung in Cern oder der Schweizer Maler und Bildhauer Jean Tinguely sollen einen Einblick in die Schweizer Geschichte und Wirklichkeit werfen. Auch wenn die Verantwortlichen nicht unbedingt die gängigen Klischees bedienen wollen, um die zu Beginn bereits angesprochene Schokolade oder die eidgenössische Bankenwelt wird man wohl kaum herumkommen. Damit jedoch die Präsentation so realitätsnah wie möglich wird, hat man die künstlerische Leitung natürlich mal kurz in die Schweiz geflogen – auf Staatskosten versteht sich.
Der Auftritt der Schweiz im Karneval von Rio de Janeiro ist also längst Chefsache. Kaum etwas wird dem Zufall überlassen, wer bezahlt, bestimmt zumindest einen Großteil der Regeln. Und die Eckpunkte der Präsentation. Somit haben die Eidgenossen schon im Vorfeld gewonnen. Ob aber der Schweizer Käse vor gut 72.000 Zuschauern über die 700 Meter lange Paradestrecke letztendlich zur Titelverteidigung rollen wird, steht noch nicht fest. Bei den zahlreichen Proben in der Sambaschule – wo schneebedeckte Berge besungen werden – gibt es zumindest zur Einstimmung schon jetzt original Schweizer Rösti zur Verköstigung.