Die Mitglieder der “Escola de Samba da Portela“, eine der berühmtesten Sambaschulen von Rio de Janeiro, haben sich zum diesjährigen Karneval 2016 etwas Neues einfallen lassen: Sie bedienen sich der professionellen Unterstützung durch einen Physiotherapeuten und einen Gymnastiktrainer, um die Siegeschancen ihrer Parade innerhalb der Spitzengruppe, zu verbessern. Die Portela wird am Montag, den 08. Februar 2016, zwischen 00:15 und 01:06 über die Avenida Sapucaí, im Sambadrom von Rio de Janeiro, marschieren.
Aber was haben ein Physiotherapeut und ein Gymnastiklehrer mit einer Sambaschule zu tun? Für die hochgesteckten Ziele der Portela-Parade 2016 ist die Verbindung damit jenen professionellen “Körperertüchtigern“ allerdings unumgänglich, und das Ergebnis ihrer Anstrengungen wird dann während der Parade auch für das Publikum sichtbar werden. Die Idee, das Knowhow von Vitor Pessanha und Jalber Rodrigues zu nutzen, kam von den Choreografen der “Frontkommission“ der Portela, Marcelo Sandryni und Roberta Nogueira. Das Duo schloss sich der Choreografin Ghislaine Cavalcanti an, die in diesem Jahr zum dritten Mal die Portela-Parade mit ihrer Arbeit bereichert.
Ohne irgendwelche Details zu enthüllen – weil die von den Choreografen stets bis zum Moment der Parade geheim gehalten werden – erzählte Sandryni und Roberta in einem Interview, dass die Bewegungen der vorbereiteten Choreografie in diesem Jahr besonders grosse Anstrengungen und Körperkraft der 14 Personen der Frontkommission erforderten, und einige von ihnen klagten nach den ersten Proben bereits über Schmerzen. “Wir haben uns da auf eine recht komplizierte Arbeit eingelassen, mit vielen Verrenkungen und dem extremen Gebrauch der Muskeln. Obwohl die Ausführenden vom Ballett kommen, stehen sie unter kontinuierlichem Druck – aber sie werden zunehmend besser“, sagt Sandryni.
Nach Beurteilung der beiden Choreografen war es besonders schwierig, den künstlerischen mit dem technischen Part choreografisch gekonnt zu verbinden. “Es ist kompliziert, den tänzerischen Teil in den technischen harmonisch zu integrieren – wenn da also das kleinste Problem auftritt, nur für ein paar Sekunden, das bringt uns bereits völlig aus dem Tritt. Alles muss zu einhundert Prozent klappen – vor allem die Technik muss perfekt sein“, ergänzt Roberta.
Spezialstiefel
Roberta hebt hervor, dass der Physiotherapeut Vitor Pessanha sich derart in diese Arbeit verbissen hat, dass er sogar spezielle Stiefel für alle Mitglieder der Frontkommission herstellen lassen wird, um zu verhindern, dass sie sich während ihrer Präsentation verletzen. Ausserdem werden die Mitglieder auch noch am Sammelpunkt, vor Beginn der Parade, von ihm begleitet. “Seine Absicht ist es, die Muskeln unserer Jungs zu lockern, damit sie weniger verspannt in die Parade gehen“, erzählt Roberta.
Die Proben werden abends durchgeführt, und stets innerhalb verschlossener Räume, damit das Geheimnis der Choreografie gewahrt bleibt. Man hat mit den ersten Proben bereits im Oktober 2015 begonnen – Ende November schlossen sich dann die beiden Konditions-Profis der Gruppe an, die ab diesem Moment die notwendigen Übungen und die Bewegungen der Tänzer begleiteten.
Vitor kümmert sich um die physische Verfassung der Mitglieder, und Jalber Rodrigues orientiert sie im technischen Teil der Choreografie. “Wir haben da eine herrliche Partnerschaft geschaffen“, bemerkt Sandryni. Vitor ist Physiotherapeut des “Clube de Regatas do Flamengo“ (Ruderclub) und Jalber begleitet einen der Spieler vom Baskett-Club. “Sie ergänzen sich einfach wunderbar“, ergänzt Roberta.
Vorarbeiten
Die Zusammenarbeit des Choreografen-Duos mit dem bekannten Karnevalisten Paulo Barros, der in diesem Jahr 2016 bei der Portela als “Karnevals-Chefgestalter“ das Thema “No Voo da Águia, Uma Viagem sem Fim“ (Im Flug des Adlers, eine Reise ohne Ende) entwickelt, hat bereits frühere Prüfungen mit Bravour bestanden. Beim Karneval 2003, noch in der Aufsteigergruppe (Grupo A) erschien auf der Avenida die erste humane Allegorie – eine Charakteristik von Paulo Barros.
In der Parade der Sambaschule “Paraíso de Tuiuti“ gestaltete Sandryni die Choreografie der Komponenten eines Wagens, der das Bild “Vogelscheuche von Cândido Portinari“ präsentierte, das Thema jenes Jahres. Im nächsten Jahr war die aus Minas Gerais stammende Roberta an der Reihe – Paulo Barros holte sie in seine Gruppe. “Bis dahin hatte ich die Paraden nur im Fernseher, dort in Minas, verfolgen können – bis mich mein Kollege (Sandryni) gerufen hat“.
2016 wuchs die Verantwortung mit ihrem Debut als Choreografen der Frontkommission in der “Grupo Especial“ (der Spitzengruppe), die als Elite des Rio-Karnevals gilt – darüber hinaus betätigten sie sich noch in sieben allegorischen Wagen und in drei “Alas“ (marschierende Themengruppen). Sandryni betrachtet die choreografische Arbeit in den Allegorien und Themengruppen als “weniger anstrengend“, jedoch ist sie in Wahrheit wesentlich tiefgründiger, abgesehen von dem Gewicht der Frontkommission, das auf seinen Schultern lastet.
“Bei den Allegorien sind die darstellenden Personen auszusuchen, sie zu motivieren, ihnen den Themengesang beizubringen, ihnen zu zeigen, wie man interpretiert und mit dem Publikum interagiert. Leider gibt es für diese anstrengende Arbeit von der Jury keinen einzigen Punkt“, bedauert er. “Aber es gibt bis zu vierzig Punkte als Höchstnote für die Frontkommission – also liegt da meine besondere Verantwortung“, erklärt er.
Wie in jedem Jahr üblich, wurden auch diesmal die Grundzüge der Choreografie für die Frontkommission von Paulo Barros selbst vorgegeben. Die weitere Ausarbeitung liegt dann beim besagten Trio der Choreografen, die diese Idee in eine das Publikum überraschende, nie zuvor gewagte, fantastische anzuschauende Präsentation verwandeln, mit der sie die Bestnote der Jury anstreben. Die Portela ist immer gut für eine Champion-Parade – diesmal als vierte Teilnehmerin in der zweiten Paradenacht. Man achte auf die Frontkommission!
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