Mit prachtvollen Umzügen und auch Gesellschaftskritik ist in der Nacht vom Sonntag (11.) zum Montag (12.) im Sambódromo Marquês de Sapucaí in Rio de Janeiro der Paradereigen eröffnet worden. Weil es im vergangenen Jahr bei der Elitegruppe Rio de Janeiros keinen Absteiger gegeben hat, haben dieses Jahr gleich sieben Sambaschulen das Publikum begeistert.
Império Serrano
Império Serrano hat für einen bewegenden Auftakt der Sambaparaden Rio de Janeiros gesorgt. Sieben Jahre lang war die Sambaschule fern der Elitegruppe. 2017 ist sie aufgestiegen und hat jetzt ein einzigartiges Spektakel über die Kultur Chinas geboten. Bereits der Wagen “Abre-alas“ hat einen faszinierenden Streifzug durch die Geschichte des Landes und seinen Einfluss auf die Welt geboten. Die prachtvolle kaiserliche Krone der Sambaschule war von chinesischen Drachen flankiert. Nicht fehlten chinesische Mauer, Konfuzius und der Taoismus. Die Lotusblume, als Symbol der Reinheit, wurde mit einem prachtvollen allegorischen Wagen präsentiert. Den Abschluß bildete eine Allegorie über den chinesichen Kalender, nach dem das neue Jahr in fünf Tagen beginnt.
Insgesamt 3.500 Komponenten und 28 Alas waren vertreten, darunter ein Ala mit 180 Männern und Frauen, der dem Sambista Arlindo Cruz gewidmet war. Er ist mit der Sambaschule eng verbunden. Seit einem Schlaganfall im März vergangenen Jahres befindet sich der 59-jährige Künstler allerdings zur Behandlung in einem Krankenhaus. Mit der Ehrung wollte ihm Império Serrano positive Energie zukommen zu lassen, wie es Sängerin Maria Rita ausgedrückt hat.
Trotz der stolzen Leistung muss Império Serrano einen Wermutstropfen verbuchen. Wegen Problemen an einem Dreifußwagen, mit dem gigantische Fächer dargestellt wurden, entstand eine beachtliche Lücke in der Parade, was zu einem Punkteabzug führen könnte.
São Clemente
Die älteste Kunstakademie Lateinamerikas ist von São Clemente auf die Samba-Avenida gebracht worden. Wie schon im Vorjahr hat São Clemente auch dieses Mal wieder auf die Karnevalstraditon Rio de Janeiros gesetzt und auf aufwändige Technik verzichtet. Geboten hat sie dennoch einen beeindruckenden Streifzug durch die bildenden Künste Brasiliens. Mit viel Einfallsreichtum hat Carnevalesco Jorge Silveira die 200-jährige Geschichte der “Escola de Belas Artes“ erzählt und gezeigt, wie sich die aus Europa kommende Kunst mit der der indigenen Völker, der Afrikaner und der überschwenglichen Natur des Landes vermischt hat.
Aufmarschiert sind berühmte Bilder und Werke brasilianischer Künstler. Viele von ihnen haben einst selbst an der “Escola de Belas Artes“ studiert. Etliche von ihnen haben zudem den Karneval der Stadt am Zuckerhut geprägt, wie die Carnevalesca Rosa Magalhães. Mitgewirkt haben ebenso Schüler der Kunstakademie Rio de Janeiros. Unter den 3.300 Komponenten befanden sich 150 Kunststudenten. Sie sind nicht nur bei der Parade dabei gewesen, sondern haben im Vorfeld auch Hand bei der Herstellung der Kostüme und Allegorien angelegt. Von Hand bemalt haben sie unter anderm die Röcke der Baianas.
Unidos da Vila Isabel
Für einen imposanten Auftritt hat Unidos da Vila Isabel gesorgt. Sie hat mit viel Technik und Kreativität beeindruckt. Im Mittelpunkt ihres Enredos standen Entdeckungen und Erfindungen, die die Welt verändert und zum Fortschritt der Gesellschaft beigetragen haben. Gezeigt wurde aber auch eine Reise in die Vergangenheit, um in die Zukunft zu gelangen, wie es Carnevalesco Paulo Barros ausgedrückt hat. Mit 3.500 Komponenten, 30 Alas, sechs Allegorien und einem schier unendlichen Einfallsreichtum ist ihm das gelungen.
Im Vordergrund stand die Technik. Von der war auch der Rock der ersten Porta Bandeira geprägt. Statt aus einem Schwall von Federn bestand dieser aus 20.000 Led-Lämpchen. Sie haben züngelnde Flammen auf das 45 Kilogramm schwere Kostüm gezeichnet und das Feuer als eine der wichtigen Entdeckungen der Menschheit symbolisiert. Beeindruckend dargestellt wurde ebenso die Transformation der Welt. Auf einer auf einem allegorischen Wagen thronenden Erdkugel sind an Drahtseilen angehängte Menschen beinahe waagrecht um den Globus gerannt, während Zahnräder als Symbol für die Industrialisierung das Fundament des Wagens gebildet haben.
Wie die Zukunft sein könnte, hat der letzte allegorische Wagen aufgezeigt. Auf gigantischen Bildschirmen in Trommelform wurden Bilder von intelligenten Städten projiziert. Umflogen wurden sie von futuristischen Autos. Gleichzeitig wurde aber auch zum Respekt der “Völker des Waldes“ aufgerufen, der Indios, die den Regenwald schützen.
Paraíso do Tuiuti
Paraíso do Tuiuti hat sich dem Thema des Sklaventums angenommen und die Frage gestellt, ob dieses mit dem „Lei Áurea“ vor 130 Jahren tatsächlich abgeschafft wurde. Während die Frontkommission das immense Leid der versklavten Menschen lebhaft veranschaulicht hat, haben etliche der 29 Alas auf das Sklaventum der verschiedensten Zivilisationen verwiesen. Mit den fünf allegorischen Wagen wurde der Menschenmarkt dargestellt und auch der Reichtum, der von den Sklaven produziert wurde. Ein anderer repräsentierte die „tumbeiros“, die Schiffe, auf denen die Afrikaner transportiert wurden. Weil bei der Überfahrt so viele von ihnen gestorben sind, wurden sie “Gräber“ (tumbas) genannt.
Mit einem weiteren Wagen tituliert als “Neo Tumbeiro“ (Neo-Grabschiff) übte Paraíso do Tuiuti Gesellschaftskritik. Aus einer schäbigen Flagge Brasiliens ragte eine bettelnde Hand. Hoch oben tanzte ein Vampir mit der umgehängten Präsidentenschärpe umringt von Anzugträgern als Anspielung auf Korruption und Ausbeutung. Das Volk tanzte indes aufgehängt an Marionettenfäden unter ihnen. Infrage gestellt wurde damit die neuen Formen der Ausbeutung der unteren Gesellschaftsschichten durch die reicheren, dominanten Klassen. An der Rückseite des Wagens prangerte die “Carteira de trabalho“, die Arbeitskarte, als Hinweis auf die erst unlängst zugunsten der Unternehmer aufgeweichten Arbeitsrechte.
Kritik gab es auch mit dem Ala “Cativeiro social“ (frei übersetzt: Klassengefangenschaft). Er zeigte die Rohbauten der Favelas und den darin lebenden, in ihrer Armut gefangenen Menschen. Betroffen sind davon vor allem die Nachkommen der Sklaven, die Afrobrasilianer. Statistiken zeigen immer wieder, dass Schwarze und Mischlinge eine schlechtere Schulbildung und weniger Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, stärker von Armut betroffen sind und ebenso von Gewalt.
Mit 3.100 Komponenten und fünf allegorischen Wagen hat Paraíso do Tuiuti eine eindrucksvolle Parade geliefert. Dieses Jahr gab es auch anders als 2017 keinerlei Probleme. Im vergangenen Jahr geriet einer der Wagen von der Spur und hatte mehrere Menschen gegen die Absperrung gepresst und teilweise schwer verletzt.
Acadêmicos do Grande Rio
Es wäre eine wunderschöne Parade geworden, hätte es nicht ein Problem mit einem der allegorischen Wagen gegeben. Mit einem Festival der Farben und Freude versprühenden Komponenten hat Acadêmicos do Grande Rio eine der beliebtesten Fernsehfiguren Brasiliens geehrt, „Chacrinha“. Sechs allegorische Wagen sollten sein Lebenswerk und seine Herkunft verörpern. Geworden sind es nur fünf. Der letzte Wagen ist etwa 500 Meter vor dem Eintritt auf die Samba-Avenida auf der Straße liegen geblieben. Ein Rad hatte sich gelöst und den Wagen mit seinen mehreren Tonnen schweren Aufbauten aus der Spur gebracht, wie es später hieß. Eingekeilt am Bürgersteig waren zwei Abschleppwagen notwendig, um ihn zu ziehen und die Straße wieder freizugeben.
Entstanden ist durch das Problem mit dem Wagen eine enorme Lücke zwischen den Alas. Letztlich konnte die zwar wieder geschlossen werden, doch hat die Verzögerung zu einer Verspätung geführt. Acadêmicos do Grande Rio hat die zulässige Zeit für die Parade um fünf Minuten überzogen, was zu einem Punkteabzug führen wird.
Abgesehen von dem fehlenden Wagen ist es der Sambaschule jedoch gelungen, ihr Thema gekonnt umzusetzen und Esprit und Witz des 1988 verstorbenen Entertainers ins Sambódromo Marquês de Sapucaí zu bringen. “Chacrinha“ hat einen völlig neuen und ungewöhnlich Showstil geprägt und damit Generationen von Brasilianern Samstagnachmittags vor den Fernsehern gefesselt. In jeder seiner Shows ist er mit einer anderen Verkleidung aufgetreten, hat Fische ins Publikum geworfen und dieses in den Wahnsinn getrieben.
Estação Primeira de Mangueira
Die renommierte Sambaschule Estação Primeira de Mangueira hat mit ihrer Darbietung die alten Traditionen des brasilianischen Karnevals wieder aufleben lassen. „Ich spiele, ob mit Geld oder ohne Geld“ lautete die Kernbotschaft ihres Enredos. Damiit sollte unter anderem auf die Bedeutung des Karnevals als größtes Volksfest Brasiliens hingewiesen werden. Es war aber auch eine Kritik an der Politik des Bürgermeisters Marcelo Crivella. Der konservative Politiker und Bischof einer evangelikalen Freikirche hat die Zuschüsse für die Sambaschulen gekürzt. Das wurde entsprechend kritisiert.
Auf einem der alegorischen Wagen stand steif eine Puppe Crivellas zwischen all den tanzenden Kostümierten. Umgehängt hatte er ein Schild, auf dem angelehnt an die biblische Sprache stand „Olhai por nós, o prefeito não sabe o que faz” (Betrachte uns, der Bürgermeister weiß nicht, was er tut).
Das Sparprogramm hat aber auch zu einer Rückbesinnung geführt. Statt mit Luxus zu protzen hat Estação Primeira de Mangueira mit außerordentlicher Kreativität aufgewartet. Sie hat Harlekin und Columbine auf die Samba-Avenida gebracht und ebenso die traditionsreichen “blocos“ (Karnevalsblöcke), die den Straßenfasching Rio de Janeiros animieren. Der Karneval gehört dem Volk und das lässt sich weder durch Finanzprobleme noch durch Absperrungen aufhalten, wie von der Frontkommission gezeigt wurde. Gelungen sind der Sambaschule ebenso eindrucksvolle Allegorien.
Mocidade Independente de Padre Miguel
Beendet wurde die erste Sambanacht vom Mit-Champion 2017, von Mocidade Independente de Padre Miguel. “Namaste: Der Stern in mir, grüßt den Stern in dir“ lautete ihr Titel. Unter dem hat die Sambaschule die Gemeinsamkeiten der indischen Kultur mit der brasilianischen aufgezeigt und ein einzigartiges Schauspiel geliefert.
Barfuß laufende Mönche, indische Gottheiten und ein Guru haben die Frontkommission gebildet. Gefolgt wurde sie von einem überschwänglich ausgestatteten allegorischen Wagen, der den indischen Gottheiten gewidmet war. Nicht weniger eindrucksvoll war eine Allegorie, die den Naturgottheiten der indigenen Völker Brasiliens präsentiert hat. Statt mit Lotusblumen war er mit der amazonischen Wasserrose Vitória-regia dekoriert.
Wie Indien Brasilien beeinflusst hat, war an verschiedenen Beispielen zu sehen. Aus dem asiatischen Land stammt die Mangofrucht, die Banane und das Zuckerrohr, die aus Brasilien nicht mehr wegzudenken sind, sei es bei typischen Landesgerichten oder in der Industrie. Das Zuckerrohr ist nicht nur ein wichtiges Standbein der Landwirtschaft des südamerikanischen Landes, sondern ebenso im Alltag. Aus ihm wird Ethanol gewonnen, das wiederum Treibstoff für Kraftfahrzeuge ist. Während in Indien die Kuh heilig ist, spielt in Brasilien der “boi“ (Ochse) sowohl in der Folklore als auch der Landwirtschaft eine wichtige Rolle, wie mit den Kostümen mehrerer Alas und gigantischen Skulpturen gezeigt wurde.
Einmal mehr hat Mocidade Independente de Padre Miguel mit seiner außerordentlichen Darbietung beeindruckt.