Magie, Philosophie, Glaube und auch Gesellschaftskritik haben die erste Nacht der brühmten Samba-Paraden in Rio de Janeiro geprägt. Auf die Samba-Avenida wurde 2019 die magische Welt der Geschichten gezaubert. Beantwortet wurde die Frage, was das Leben ist. Kritik gab es zur fehlenden Erziehung. Gezeigt wurden die Fabeln der Beija-Flor, eine Ehrung der Umanda-Gottheit Xangô und die Geschichte des Brotes verbunden mit einem Aufruf zu Veränderungen
Einen Wermutstropfen gab es dieses Mal nur im Vorfeld. Wegen starken Unwetter und Überschwemmungen kurz vor Paradenbeginn hat es beinahe so ausgesehen, als ob die Paraden im Wasser untergehen würden. Geführt hat dies aber lediglich zu einer halbstündigen Verzögerung des Auftaktes. Danach konnte die tausenden Teilnehmer nichts mehr halten, haben die sieben Elite-Sambaschulen die über 70.000 Zuschauer im Sambódromo über Stunden hinweg begeistert.
Império Serrano
Den Auftakt hat Império Serrano gegeben. Trotz Regen und Wind hat sie dennoch ein eindrucksvolles Schauspiel über die Frage geliefert, was das Leben ist. Orientiert hat sie sich an dem Klassiker “O que é? O que é?“ (Was ist es, was ist es?) des Sängers und Kompinisten Gonzaguinha. Dessen Rhythmus wurde für das Sambódromo da Marquês de Sapucaí ein wenig umgeändert.
Zeigen wollte Império Serrano die verschiedenen Arten zu leben und glücklich zu sein, wie es der verantwortliche Carnevalsco Paulo Menezes ausgedrückt hat. Das ist ihm gelungen. Mitgeschwungen ist dabei ebenso der Appell leben und leben zu lassen.
Ansprechend gezeigt wurde mit Hilfe der Alas und allegorischen Wagen, dass das Leben ein Abenteuer sein kann, eine Reise, ein Rätsel und manchmal auch ein Kampf. Dass es nicht immer ein Zuckerschlecken ist, hat Império Serrano unter anderem mit ihrer Comissão de frente darestellt. Die wurde von „mendingos“, Obdachlosen, gebildet und mit der Neugeburt eines Kindes, das trotz seiner Armut die Hoffnung auf ein besseres Leben hat.
Nicht immer hängt das Wie des Lebens nur von einem selbst ab. Symbolisiert wurde dies mit einem allgorischen Wagen in Form eines Schachbrettes, bei dem die Bewegung eines Spielers sich auf einen anderen auswirkt.
Viradouro ist erst im vergangenen Jahr in die Elitegruppe aufgestiegen. Mit seiner nun gebrachten außerordentlichen Präsentation wird sie sich in dieser nicht nur halten können, sondern sicherlich auch einen der vorderen Plätze belegen.
Einmal mehr hat Carnevalsco Paulo Barros für ein eindrucksvolles Spektakel gesorgt und mit seinen allegorischen Wagen unglaubliche Szenen geliefert. „Viraviradouro“ lautete der Titel des Enredos. Bei dem ging es um das Kind im Menschen. Entsprechend hat Viradouro eine bunte Phantasiewelt auf die Samba-Avenida gezaubert. Anhaltspunkt war die Oma, die ihrem Enkel Geschichten aus einem Buch vorliest.
Aufmarschiert sind Faune, Feen und Elfen, Dämone, Hexen und Spinnen und ebenso Cinderella, Alice im Wunderland und Die Schöne und das Biest.
Ein wahres Feuerwerk an Details und Überraschungen haben die allegorischen Wagen geboten. Hexen sind auf und ab geschwebt, gigantische Bücher haben getanzt und beim Fluch der Karibik gab es neben einem zweistöckigen Brunnen als Ausgucksturm lebende Korallen.
Eine andere Allegorie war der Geisterwelt gewidmet. Mit dabei war ein Ghost Rider, der das Publikum in den Bann gezogen hat. Er ist mit seinem Motorrad die Rampe des sich Bewegung befindenden allergorischen Wagens hinauf in eine Gruft gefahren und dann wieder hinunter, mitten in drei Alas hinein.
Mit dem letzten seiner Wagen hat sich Viradouro auch an sich selbst gerichtet. Auf ihm trohnte ein gigantischer Phoenix, der aus der Asche aufsteigt. Die Asche wiederum wurde von Menschen gebildet, die sich immer wieder in Blumen verwandelt haben.
Auf witzige Weise hat Acadêmicos do Grande Rio den mangel an Erziehung angeklagt, die schlechten Angewohnheiten so mancher Zeitgenossen und ebenso die Umweltverschmutzung. Angesprochen wurde ebenso die digitale Abhängigkeit. Letzterem war ein allegorischer Wagen gewidmet, in dem als Seitenhieb auf die Macht der sozialen Netzwerke die Menschen in Netzen verstrickt und gefangen waren. Bei der Comissão de frente hat Moses zudem statt der zehn Gebote auf einer Steintafel Smileys auf einem Tablet hoch gehalten.
Auf der Avenida haben sich aber auch kleine und große Sünden und Vergehen getummtelt. Aufmarschiert sind der unter die Schulbank gedrückte Kaugummi, die achtlos weggeworfene Kippe, mit Graffiti verschmierte Wände und die bei rot überfahrene Ampel. Fake News und das illegale Anzapfen von Strom waren ebenso dabei. Gedränge im Omnibus, betrunken Autofahren und durch falsches Verhalten im Straßenverkehr das Leben anderer gefährden war ebenso Thema.
Der Zerstörung der Ozeane durch die Menschen wurde ein eigener Wagen in Form einer Schildkröte gewidmet. Die hatte über ihren Körper ein Netz und aus ihrem Mund hing Müll. Auch Quallen und Kraken der Allegorie waren vom Müll eingerahmt. Der war im Vorfeld tatsächlich aus dem Meer gezogen worden.
Die Umbanda-Gottheit Xangô stand im Mittelpunkt von Acadêmicos de Salgueiro und mit ihr ebenso afrikanische Religionen. Der neunfache Titelhalter hat auch dieses Mal wieder für eine großartige Parade gesorgt.
Xangô ist der Schutzpatron der Acadêmicos de Salgueiro und er ist der Herr des Feuers, der Blitze und des Donners, des Steins und ebenso der Gerechtigkeit. Sie alle sind in den Alas und Allegorien auf beeindruckende Weise verkörpert worden.
Die afrikanischen Gottheiten des Umbanda sind mit den Sklaven nach Brasilien gekommen. Weil sie ihre Regligion nicht ausüben durften hat sie sich mit dem Katholizismus vermischt. Xangô wurde zu Petrus. Geyeigt wurde dies mit einer eigenen Allegorie. Die Verbindung der Religionen wurde auch mit dem Pabstmobil repräsentiert, in ihm verkörperte ein brasilianischer Schauspieler den Pabst.
Weil Xangô auch die Justiz verkörpert wurde auch sie angesprochen. Dollarnoten auf Kostümen stellten die Korruption dar. Wer wenig stiehlt ist ein Dieb, wer viel stiehlt ein Baron lautete das Thema eines anderen Alas. Der fünfte allegorische Wagen zeigte die Waage der Justiz. Ihm folgte eine Demonstration für die Durchsetzung der Rechte und gegen die Diskriminierung.
Einmal mehr hat die traditionsreiche Beija-Flor ein imposantes Schauspiel geliefert. Dieses Mal hat sie sich selbst und ihr siebzigjähriges Bestehen gefeiert. In 37 Alas haben die 3.500 Komponenten 33 verschiedene Enredos dargestellt, die von Beija-Flor in den vergangenen 70 Jahren auf die Samba-Avenida gebracht wurden.
Beija-Flor ist bekannt für seinen Einsatz von ausgefeilter Technik. An der hat es auch dieses Jahr nicht gemangelt. Beim ersten der fünf allegorischen Wagen ist die Entstehungsgeschichte der Sambaschule aus Nilópolis erzählt worden.
Geschehen ist dies unter anderem mit einem Riesen-Bildschirm auf dem Schwarz-weiß-Fotos aus den vergangenen sieben Jahrzehntes gezeigt wurden sowie von wichtigen Persönlichkeiten der Sambaschule. Weil Beija-Flor an einem Tag mit Sonne und Wolken geboren wurde, haben auch die Wolken nicht gefehlt. Die haben sich über dem Wagen entfaltet. Über all dem ist der Kolibri geschwebt, der Beija-Flor.
Auch bei Beija-Flor hat es Sozialkritik gegeben. Der letzte der Allegorien war mit einer Versammlung der Ratten dem Thema “Ratos e Urubus“ (Ratten und Geier) gewidmet.
Beija-Flor ist aktueller Champion und dürfte auch dieses Jahr wieder mit zu den Favoriten unter den 14 Anwärtern auf den begehrten Titel gehören.
Imperatriz Leopoldinense hat mit seiner Parade zum Nachdenken über unser Verhalten im Zusammenhang mit Geld angeregt. Präsentiert hat sie die Ursprünge der Münzen und Geldscheine bis hin zur Kreditkarte und zur Schaffung von Bitcoins. Dargestellt wurden aber auch die mit dem Geld verbundenen Auswüchse wie der Kapitalismus mit der Verschärfung des Abrundes zwischen Arm und Reich.
Robin Hood stand im Mittelpunkt der Comissão de frente. Mit einem Seil an einem Handkran befestigt ist Robin Hood in luftiger Höhe gelaufen während es 200.000 Banknoten geregnet hat.
Allegorische Wagen haben die Folgen des schnellen Geldgeschäftes via Investmentfonds sowie hoher Zinsen verbildlicht und ebenso die Folgen der Armutsschere und des modernen Sklaventums. Einer der Alas verdeutlichte den Handel mit Menschen, versehen wurden die Sklaven dabei mit einem Barcode.
Während eine Seite des allegorischen Wagens eine Wohnung der gehobenen Mittelschicht, mit Wagen vor dem Haus und Wohlstand gebildet wurde, zeigte die Rückseite die Realität der Menschen, die in den zahllosen Favelas der Städte Brasiliens auf engen Raum und in halbfertigen Strukturen leben müssen.
Betitelt war der Wagen mit “Minha casa, minha vida“ (Mein Haus, mein Leben), dem Slogan eines staatlichen Programmes, mit dem theoretisch Wohnraum für weniger bemittelte Familien geschaffen werden soll.
Auch von Unidos da Tijucas gab es Sozial-Kritisches. Aufhänger war das Brot, das als eins der wichtigsten Lebensmittel gilt. Nach Unidos da Tijuca ist es nicht nur ein Nahrungsmittel, sondern hat auch die Geschichte beeinflußt. Wie es dies getan hat, wurde von Tijuca mit bewegenden Allegorien und Alas aufgezeigt.
Das Brot hat laut Tijuca ebenso die französische Revolution beflügelt. Statt durch den Kauf von Brot Steuern zu zahlen, wurde daheim gebacken.
Beinahe spürbar war das Leid der Schwarzen auf einem Sklavenschiff, das einer der fünf Allegorien darstellte. Gepeinigt und geschlagen von Europäern, die als weiße Teufel aufgetreten sind, steckten sich die Sklaven im Bauch des Schiffes verstohlen Brotkrumen in den Mund.
Eine andere Allegorie zeigte die biblische Teilung des Brotes. Ihr voraus ging eine Szene der Auspeitschung Jesus.
Anders als gewöhnlich hat Tijuca viele der Alas mit Choregrafien und theatralischen Einlagen versehen. Kritisiert wurden dabei Politiker, die Machtbesessenheit und ebenso die Schere zwischen Reich und Arm, angeheizt durch die hohe Arbeitslosenrate.
Die Hoffnung kam mit der letzten der Allegorien, bei der diejenigen, die mehr haben, ihr Brot mit den Ärmeren teilen. Mit seinen 4.000 Komponenten hat Unidos da Tijuca für eine beeindruckende und nahezu perfekte Parade gesorgt.