Mit Luxus, Humor und Überraschungen haben die Sambaschulen der Elitegruppe Rio de Janeiros in der zweiten Nacht der Paraden aufgewartet. Gleich zwei Sambaschulen haben ihre Enredos dem trockenen Nordosten des Landes gewidmet. Geehrt wurde die Sängerin Clara Nunes. Die Kaiserzeit, die Geschichte Brasiliens und die Zeit waren weitere Themen. Ebenso gab es Kritik. Die hat sich an die Paraden im Sambódromo da Marquês de Sapucaí selbst gerichtet. Mehrere der Sambaschulen haben zudem den nach einem Jahr immer noch ungelösten Mord an der Menschenrechtlerin Marielle Franco angeprangert.
Mit dem Enredo “E o samba sambou“, seinem eingehenden Samba und einer humorvollen Kritik hat São Clemente das Publikum begeistert. Kritisiert hat sie die Samba-Paraden der heutigen Zeit, von denen viele auf Hightech, ausgiebigen Lichteffekten und berühmte Persönlichkeiten aus TV und Showbusiness setzen um aufzufallen.
Beim Wagen “abre-alas“ hieß es deshalb auch, dass aus dem Karneval des Volkes ein Hollywood geworden ist. Porta bandeira und Mestre-Sala traten deshalb auch als Michael Jackson und Madonna auf.
In Frage gestellt wurde der übertriebene Luxus bei den Allegorien und Kostümen. Nicht verschont wurden die Präsidenten von Sambaschulen, die Sambistas verkaufen, Rainhas, die sich einkaufen, die Bürokratie, Journalisten und Medien und ebenso die sündhaftteuren Camarotes für VIP-Personen.
Einen Seitenhieb gab es ebenso auf den aktuellen Bürgermeister Rio de Janeiros, Marcello Crivella. Der weigert sich aus religiösen Gründen die Schlüssel der Stadt symbolisch an Rei Momo zu übergeben.
Selbst vor der eigenen Samba-Schule hat die Kritik nicht Halt gemacht. Erinnert hat São Clemente zudem an Karnevalausgaben der Vergangenheit mit Enredos über Korruption, Gewalt und die Vernachlässigung von Kindern.
Mit Luxus pur und gigantischen Allegorien hat Vila Isabel geglänzt. Sie hat die Geschichte der Stadt Petrópolis erzählt. Dom Pedro I. hatte sich in die Region verliebt und den Traum, dort den Sommersitz der kaiserlichen Familie zu errichten. Dom Pedro II. hat diesen in die Tat umgesetzt.
Jetzt war es das Publikum im Sambódromo da Marquês de Sapucaí, das sich von der Darbietung hat hinreißen lassen. Beim Vorbeiziehen gab es von ihm immer wieder die Rufe “é campeão”, Sie ist Champion. Einen Wermutstropfen gab es trotzdem. Vila Isabel hat mit ihrer Parade 76 Minuten überschritten, eine Minute mehr als erlaubt. Mit Punktabzügen muss sie deshalb wohl rechnen.
Die Darbietung war hingegen ein wahrer Augenschmaus. Highlights waren unter anderem gigantische Allegorien, wie der Abre-Alas. Der wurde von sieben Meter hohen, weißen Pferden flankiert, deren Bewegungen via Robotertechnik gesteuert wurden. Sie haben die kaiserliche, goldene Kutsche gezogen.
Überfluss und Luxus versprühte auch die Allegorie der Natur “Paraíso coroado“. 15.000 Liter Wasser sind aus dem Kopfschmuck eines übergroßen Indios geflossen, der in einem Meer von Grün Wasser getrunken hat. Symbolisiert wurde damit die Natur und das Indio-Volk, die vor der Ankunft der Europäer die Region geprägt haben.
Der letzte allegorische Wagen war dem Thema Freiheit gewidmet. Er repräsentierte die Abschaffung des Sklaventums und dem Gesetz dazu, das von Prinzessin Isabel unterzeichnet worden war. Mit auf dem Wagen befand sich die Familie der im vergangenen Jahr ermordeten Marielle Franco, die sich für die Menschenrechte und Verbesserungen in den Favelas eingesetzt hatte.
Mit einer Ehrung der brasilianischen Sängerin Clara Nunes versucht Portela, sich seinen 23. Titel zu holen. Die 1983 im Alter von 40 Jahren verstorbene Samba und Bolero-Sängerin war eng mit der Portela verbunden. Kein anderer hat so viele Lieder der traditionsreichen Sambaschule vertont, wie Clara Nunes. 1984 hat Portela ihre Clara Nunes schon einmal geehrt und damals damit den Siegertitel geschafft.
Jetzt hat die Carnavelsca Rosa Magalhães die Lebensgeschichte der charismatischen Sängerin, ihre Religiosität und ihre Liebe zur Portela auf die Samba-Avenida gebracht. Eröffnet wurden die Alas mit einer Allegorie über die Kraft der Natur, dargestellt mit übergroßen Aras, Tukanen und Kolibris, die alle für ein Zwitscherkonzert gesosrgt haben.
Der Religiosität Clara Nunes wurde ebenso ein eigener allegorischer Wagen gewidmet, der afikanische Gottheiten des Candomblé gezeigt hat, der Religion Nunes und der afrikanischen Wurzeln der Portela. Ein anderer zeigte den Straßenkarnevals des Stadtteils Madureira, der Heimat Portelas. Ein gigantischer, industrieller Webstuhl stand für die erste Arbeitsstelle Clara Nunes in einer Textilfabrik.
Für eine Überraschung hat União da Ilha do Governador gesorgt. Sie hat nicht nur eine überzeugende Parade über den nordöstlichen Bundesstaat Ceará geliefert, sondern auch mit ihrer Comissão de frente Erstaunen hervorgerufen. Bei dieser ist ein Kanadier als Pater Cícero und Zeichen eines Wunders aus einem Fischkopf auf einem Hoverboard aufgestiegen und zur Überraschung des Publikums über den Köpfen der Tänzer geflogen.
Aufhänger des Enredos der União da Ilha do Governador waren Werke der beiden Schriftsteller und Poeten Rachel de Queiroz und José de Alencar. Anhand der literarischen Werke wie “Iracema“, “O Guarani“ und “As três Marias” wurde die Kultur und das Kunsthandwerk des trockenen Nordostens Brasiliens gezeigt.
Einen großen Raum hat União da Ilha do Governador dem vielfältigen Kunsthandwerk Cearás gewidmet. Das trat nicht nur in den fantasievollen Kostümen der Alas auf, sondern auch in den allegorischen Wagen. Die waren nicht nur mit übergroßen Kopien bestückt.
Vielmehr hat der Carnavelsco Severo Luzardo Filho Originale zum Teil als Spenden von den Kunsthandwerkern erhalten. Insgesamt 15.000 Stücke wie Spitzen, Keramikwaren, Flechtwerk aus Stroh der Carnaúba-Palme und auch Hängematten sind bei der Parade eingesetzt worden.
Ganz aus dem Stroh der Carnaúba-Palme war ebenso eine riesige, gothische Burg gefertigt, über die ein gigantischer Drache thronte, mit dem eine Legende des Nordostens dargestellt wurde.
Bisher ist União da Ilha do Governador noch kein Titel gelungen. Dieses Jahr hat sie jedoch für eine beeindruckende Präsentation gesorgt.
Der Vize-Champion des vergangenen Jahres hat sich ebenso den brasilianischen Bundesstaat Ceará ins Sambódromo gebracht. Paraíso do Tuiuti hat sich dabei an der Legende über den Ziegenbock Ioiô orientiert und mit dieser Gesellschaftskritik geübt.
Den Ziegenbock Ioiô hat es tatsächlich gegeben. Er ist in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts durch die Straßen und Viertel der Stadt Fortaleza spaziert, hat in Cafés und am Hafen Pausen eingelegt und hat es zur Berühmtheit geschafft. Weil die Bevölkerung damals von den korrupten und unehrlichen Lokalpolitikern enttäuscht war, hatte sie ihn aus Protest gegenüber den vorherrschenden Politikern zum Stadtrat gewählt.
Das Enredo kann ebenso als Anspielung auf die momentane politische Welt Brasiliens gesehen werden. Auch bei den Präsidentschaftswahlen 2018 waren Proteststimmen für den Wahlausgang ausschlaggebend. Einen der allegorischen Wagen hat Paraíso do Tuiuti mit “Fauna eleitoral“ (Wahlfauna) betitelt. Auf ihm sind Politiker als Ratten, Schlangen und Schweine erschienen.
Direkte Kritik gab es auch an Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro. Unter anderem wurde eins seiner während des Wahlkampfes stets wiederholten Mottos einer anderen Aussage von ihm gegenübergestellt. “Deus acima de todos“ (Gott über allen) stand dort neben dem Ausspruch, dass er Folter befürwortet.
Paraíso do Tuiuti hatte zwar überzeugende Arbeit geleistet, muss bei den Noten aber dennoch Abstriche erwarten. Weil der letzte der allegorischen Wagen verspätet auf die Samba-Avenida fuhr, kam es zu einer großen Lücke.
Eine mehr als beeindruckende Parade hat Estação Primeira de Mangueira auf die Samba-Avenida gebracht. Sie hat mit imposanten Allegorien die Geschichte Brasiliens aus einem anderen Blickwinkel erzählt und diejenigen geehrt, die nicht in den Geschichtsbüchern auftauchen aber dennoch Land und Gesellschaft nachhaltig beeinflusst haben.
Einen großen Raum hat Estação Primeira de Mangueira den Indios gewidmet, den Bewohnern des Landes vor der Ankunft der Europäer, die wiederum als Invasoren dargestellt wurden. Aufgezeigt hat sie ebenso die Jahrtausende alte Kultur der indigenen Völker und damit deren hoch entwickelte Gesellschaften.
Wieviel Blut an den Händen so mancher in den geltenden Geschichtsbüchern als Helden Verehrte klebt wurde eindrucksvoll mit einer in Rot gehaltenen Allegorie dargestellt. Mit ihr wurde unter anderem auf den Völkermord an den Ureinwohnern des Landes verwiesen. Kritisiert wurde dabei ebenso die von der Regierung Jair Bolsonaros angeordnete Zerstückelung der Indio-Behörde Funai.
Während in den Geschichtsbüchern Sklaven als kulturlose Menschenmasse auftaucht, hat Mangueira mit einer der Allegorien die reichhaltige Kultur und Kunst afrikanischer Völker betont.
Gewidmet hat sie Alas ebenso Persönlichkeiten wie dem ”Dragão do mar”, Francisco José do Nascimento, der mehr als ein Jahrzehnt vor dem Gesetz zur Aufhebung des Sklaventums Sklavenschiffen die Einfahrt in den Hafen Fortalezas verwehrt hat.
Gegen das Sklaventum hat sich auch Luís Gama eingesetzt, der als Kind selbst verkauft worden ist und später sich später als Journalist, Schriftsteller und Menschenrechtler einen Namen gemacht hat. In den Geschichtsbüchern taucht er dennoch nicht auf.
Lücken weisen diese auch im Bezug auf die Militärdiktatur (1964 – 1986) auf. Viele Morde sind immer noch ungeklärt, wie Mangueira angeprangert hat. Gleiches gilt für den Mord an der Menschenrechtlerin Marielle Franco, auf den einmal mehr hingewiesen wurde.
Einmal mehr hat Mangueira eine aufsehenerregende Parade geboten, die mit Sicherheit vielen lange in Erinnerung bleiben wird.
Mocidade Independente de Padre Miguel
Dass Zeit nicht gleich Zeit ist, hat Mocidade Independete de Padre Miguel mit ihrer Darbietung zum Enredo “Ich bin die Zeit, Zeit ist Leben“ anschaulich aufgezeigt. Mocidade hat in den frühen Morgenstunden des Faschingsdienstags (5.) den diesjährigen Reigen der berühmten Samba-Paraden Rio de Janeiros abgeschlossen.
Mit ausgefeilter Technik, Fantasie und einem harmonischen Farbenmeer hat Mocidade unter anderem die verschiedenen Weisen der Zeitmessung und Zeitwahrnehmung dargestellt. Aufmarschiert sind die Jahreszeiten, Armbanduhren und Kuckucksuhren.
Von den imposanten Allegorien wurden verschiedene Kalender verkörpert, bei denen ein Drache das chinesische Jahr symbolisiert hat und Statuen der Maia-Kultur Südamerikas deren Sonne-Mond-Jahr.
Mit einer anderen Allegorie hat Mocidade ansprechend veranschaulicht, wie die Menschen durch die Zahnräder der Zeit vereinnahmt werden sowie ebenso den Wunsch so mancher, die Zeit einzufrieren oder anzuhalten.
Dann war auch für Mocidade die Zeit auf der Samba-Avenida abgelaufen. Jetzt wird die Auswertung der Noten mit Spannung erwartet. Die ist für Aschermittwoch (7.) vorgesehen. Das BrasilienPortal berichtet wie gewohnt darüber.