Luxuriöse Allegorien und ebenso Appelle zu mehr Toleranz sowie Gesellschaftskritik haben die erste Nacht der berühmten Paraden der Eliteschulen São Paulos im Sambódromo da Marquês de Sapucaí geprägt. Im Mittelpunkt der Paraden standen die Frauen, Afrobrasilianer, Indios, der Atlantische Regenwald und die Menschen der Favelas Brasiliens.
Den Auftakt der Paraden hat Estácio de Sá gegeben. Nach vier Jahren in der Gruppe A ist sie erstmals wieder bei den Eliteschulen vertreten. Mit ihrer herausragenden Darbietung zum Thema „Stein“ hat sie dabei nicht nur Chancen auch weiterhin in der Elite-Gruppe aktiv sein zu können, sondern ebenso auf einen Platz in den vorderen Rängen.
Zur Hilfe geholt hatte sich Estácio de Sá die Carnavalesca Rosa Magalhães, die mit verschiedenen Sambaschulen so viele Siegertitel wie kein anderer und keine andere geschafft hat. Das Thema „Stein“ hat sie weitab von den üblichen Klischees behandelt. Edelsteine waren zwar dabei. Auch haben etliche Diamanten, Rubine und andere Edelsteine für eine bute Parade gesorgt. Allein dabei blieb es aber nicht.
Der erste allegorische Wagen war beispielsweise Felsenzeichnungen und anderen archäologischen Funden gewidmet. Die Comissão de Frente war zudem am Film „2001 – A Space Odyssey“ von Stanley Kubrick inspiriert. Die abschließende Allegorie zeigte wiederum einen gigantischen Mond und spielte auf den kleinen Felsbrocken vom Mond an, der bei der ersten Mondlandung mit auf die Erde gebracht wurde.
Nicht fehlte ebenso Kritik. Immer wieder wurde die Ausbeute von Gold, Edelsteinen und Mineralien kritisiert, die oft illegal geschieht und von der Regierung des ultrarechten Präsidenten Jair Bolsonaro als Mittel zum ersehnten Wirtschaftsaufschwung gepredigt wird. Ausgedrückt wurde die Kritik unter anderem mit goldenen Totenköpfen. Die standen stellvertretend die bei der Suche nach dem schnellen Reichtum ums Leben gekommenen Menschen.
Unidos do Viradouro (Niterói)
Erst 2018 war Viradouro in die Elitegruppe aufgestiegen. 2019 hat sie sich mit ihrer eindrucksvollen Präsentation dann gleich den Vize-Titel geholt. Aber auch dieses Jahr wird Viradouro wieder ganz vorne mit dabei sein. Die Sambaschule hat eine überwältigende Parade über afrikanische Ex-Sklavinnen geliefert. „Ganhadeiras de Itapuã” lautete der Titel ihres Enredos. Ganhadeiras waren Frauen, die mit dem Waschen von Wäsche, dem Verkauf von Früchten und Gemüse, dem Tragen von Wasser und anderen Aktivitäten ihr Geld verdient haben. Mit dem haben sie nicht nur ihre Familien unterhalten, sondern auch andere Sklavinnen freigekauft.
Präsentiert hat Viradouro damit ebenso eine Ode an die Volkskultur Bahias und die Frauen. Geschehen ist dies mit luxuriös und aufwendig gestalteten Allegorien und Kostümen. Für Staunen sorgte schon die Comissão de frente. Bei der sind die Wäscherinnen vom Seeufer den Berg hinauf gestiegen, der sich geöffnet und ein Aquarium mit 7.000 Litern Wasser freigegeben hat. In dem hat sich eine der Wäscherinnen in eine Nixe verwandelt.. Dargestellt wurde diese von einer Synchron-Schwimmerin.
Aufgewartet hat Viradouro mit üppig ausgestatteten Allegorien, die sich mit lediglich einer oder maximal zwei Farben präsentierten, dennoch aber mit unzähligen Details versehen waren. Einer der allegorischen Wagen hatte allerdings Probleme mit der Beleuchtung.
Wie schon im Vorjahr hat Mangueira auch dieses Jahr wieder ein einzigartiges Spektakel geliefert. Der Vorjahres-Champion hat dabei einmal mehr Gesellschaftskritik geübt und für etliche Überraschungen gesorgt.
Im vergangnen Jahr hatte sich Mangueira den von den Geschichtschreibern vergessenen Helden gewidmet, unter anderem den Indios, Afrobrasilianern und der armen Bevölkerung. Auch dieses Jahr standen die sogenannten Randgruppen wieder im Mittelpunkt der Parade.
Unter dem Titel „Die Wahrheit macht uns frei“ hat Carnavalesco die Leandro Vieira die Frage gestellt, wie wäre es, wenn Jesus schwarz wäre. Geboten hat er dabei ebenso Vergleiche aus dem Leben Jesus mit der heutigen Zeit. Bei der Comissão de frente trat Jesus indes noch in der traditionellen Darstellung als weißer Mann auf. Allerdings trugen er und seine Jünger Jeans und repräsentierten Jugendliche aus den Favelas und armen Bevölkerungsschichten.
Mangueira ließ Jesus aber auch als schwarzes Kind von schwarzen Eltern zur Welt kommen, zeigte ihn als armen Mann, der er laut Bibel eigentlich war und als jungen Mann aus der Favela ans Kreuz genagelt. Auf dem lautete die Inschrift allerdings nicht INRI, sondern „Negro“. Auf dem gleichen allegorischen Wagen waren ebenso ein Schwarzer gekreuzigt, eine Frau und ein Vertreter der LGBT (Lesben, Schwule, Bi-Sexuelle und Transvestiten), die in Brasilien verstärkt Vorurteilen und Intoleranz ausgesetzt sind.
Mangueira hat ebenso an die Toleranz gegenüber den Religionen appelliert. So sind über 20 Vertreter und führende Persönlichkeiten verschiedenster Religionen und Glaubensrichtungen mitmarschiert.
Der letzte Wagen zeigte Christi-Himmelfahrt. Die ließ Vieira in der Favela der Mangueira stattfinden. Allerdings war die Favela nicht in tristen Farben gehalten, sondern bunt. Auch Ungewöhnliches wurde gewagt. Es gab eine Rainha de bateria mit Ketten und Dornenkrone. Eine Dornenkrone trug ebenso der Mestre Sala, der Jesus verkörperte, während seine Partnerin, die Porta bandeira, in den Farben der Mangueira ein rosa-grünes Kleid aus den 50er Jahren trug.
Paraíso do Tuiuti hat den heiligen Sebastian und seinen Namensvetter Dom Sebastião, dem portugiesischen König gewidmet, der 1578 bei einer Schlacht in Marokko verschollen ist. Präsentiert hat sie damit auch die Kultur und das Leben im Nordosten Brasiliens. Denn nach einer Legende des brasilianischen Bundesstaates Maranhão soll der verschollene König verzaubert worden und dort wieder aufgetaucht worden sein. Der Legende nach soll er sich ebenso in einen schwarzen Stier mit einem weißen Stern auf der Stirn verwandelt haben.
Paraíso do Tuiuti hat dazu eine Parade mit überschwenglich gestalteten Allegorien und Kostümen geboten und die Samba-Avenida in ein farbenprächtiges Meer verwandelt.
Während der erste Teil der Parade der Geschichte von Dom Sebastião repräsentierte, stellte der zweite anschaulich die Legende des verwunschenen Königs dar. Der Abschluß war hingegen dem São Sebastião, dem Heiligen, und den religiösen Festen und Ausdrucksformen des Nordostens gewidmet.
Paraíso do Tuiuti wäre beinahe eine makellose Präsentation gelungen. Allerdings mussten die Teilnehmer zum Schluss ihre Schritte beschleunigen, um noch rechtzeitig die Ziellinie überschreiten zu können und das Zeitlimit nicht zu sprengen.
Acadêmicos do Grande Rio (Duque de Caxias)
Wegen Problemen mit dem Wagen Abre-alas in der Einfahrt kam es bei Acadêmicos do Grande Rio zu einer Verzögerung. Der Anfangsschreck war aber schnell überwunden und die Sambaschule Duque de Caxias konnte ihre Geschichte über Joãozinho da Gomeia ohne weitere Probleme erzählen. Joãozinho da Gomeia war Pai de Santo, religiöser Mann des Candomblé. Er war homosexuell, Schwarzer und hat es zu Berühmtheit geschafft. Rat suchten bei ihm Menschen aller Gesellschaftsschichten. Darunter sollen auch hochgestellt Politiker, Botschafter und Präsidenten gewesen sein. Einer Legende nach war auch Englands Königin Elisabeth vor ihrer Krönung bei Joãozinho da Gomeia. Grande Rio widmete dieser Legende einen eigenen allegorischen Wagen.
Appelliert wurde mit dem Umzug zu mehr Toleranz, sowohl religiöser als auch anderen Menschen gegenüber. So repräsentierte einer der Wagen die LGBT-Gemeinschaft. Ein anderer zeigte mit übergroßen Skulpturen die Gottheiten des Candomblé. Der Respekt vor der Natur kam in einer Allegorie über den Atlantischen Regenwald zum Ausdruck. Sie zeigte den Reichtum der Kultur der Indios und die Artenvielfalt der Region, wo sich heute Rio de Janeiro befindet.
Grande Rio hat ebenso die Leidenschaft Joãozinho da Gomeias für den Karneval und die Kunst anschaulich dargestellt. Sie ließ Festas Juninas aufmarschieren und ebenso Capoeira-Tänzer. Aufgewartet hat Grande Rio neben überschwenglichen Allegorien ebenso mit originellen Kostümen der Alas und einem mitreissenden Samba.
União da Ilha do Governador war der Pechvogel der ersten Paradenacht Rio de Janeiros. Sie hat es geschafft ein schwieriges Thema vorzüglich umzusetzen. Ihr Enredo hatte sie den Gesellschaftsschichten Brasiliens gewidmet, die weniger bevorzugt sind, die Bewohner der Favelas. Allerdings kam es bei einem der gigantischen allegorischen Wagen zu Problemen am Motor. Weil er mitten auf der Avenida plötzlich stehen blieb kam es zu einer großen Lücke in der Parade. Beim Auszug aus dem Sambódromo hatten dann gleich zwei Wagen Probleme. Es kam zu einem Stau. Letztlich hat União da Ilha do Governador auch noch das Zeitlimit um eine Minute überschritten. Rechnen muss sie deshalb mit Strafpunkten.
Das ist umso bedauerlicher, da die Sambaschule eine sehr interessante und anspruchsvolle Parade mit ausdrucksstarken Allegorien und Alas vorbereitet hatte, die es eigentlich verdient hätte auf den vorderen Rängen zu landen.
Auf sehr eindrucksvolle Weise stellte União da Ilha do Governador gleich mit dem ersten allegorischen Wagen, dem Abre-Alas, das Leben in den Favelas dar. Über den Häusern kreisten Hubschrauber mit der ironischen Aufschrift „Agenten des Friedens“ während unter ihnen die Bewohner ums Überleben rangen.
Ilha do Governador hat das gezeigt, was oft vergessen wird, wie die überfüllten Klapperbusse, mit denen täglich tausende Menschen häufig stundenlang auf den Weg zur Arbeit unterwegs sind. Aufmarschiert sind ebenso die Menschen, die im Müll nach Verwertbarem suchen.
Der Gegensatz zwischen Arm und Reich wurde beeindruckend mit der Allegorie „Os poderosos“ (Die Mächtigen) vor Augen geführt. Auf dem saßen auf goldenen Toiletten Politiker und Reiche. Über ihnen trohnte der Präsident des Landes. Der Allegorie folgte ein Wagen mit einer obdachlosen Familie in ihrem Elend.
Dennoch war es nicht die Verzagung oder Traurigkeit, die überwiegte. „Unser Reichtum ist es, glücklich zu sein“ lautete das Motto des Abschlusswagens, der das gesellschaftliche Leben mit seinen Festen, Musik und seiner Freizeitgestaltung veranschaulichte. Dass es einen Ausweg aus der Armut gibt, wurde hingegen schon mit der Comissão de Frente gezeigt. Bei der gab es für die Kinder Bücher, weil Bildung der Weg in die Zukunft und für Veränderungen ist, wie bei der Darbietung präsentiert wurde.
Keine andere Sambaschule vereint so viele Siegertitel wie Portela. Auch dieses Jahr hat sie große Chancen auf einen weiteren Titel. Zu dem Thema “Guajupiá – Erde ohne Übel“ hat sie eine nahezu perfekte und noch dazu herausragende Parade geboten. In ihrem Mittelpunkt standen die Indios, die einst dort gelebt haben, wo heute Rio de Janeiro steht, die Tupinambás.
Die Carnavalescos Renato und Márcia Lage haben für eine prachtvolle Umsetzung des Themas gesorgt und auch für Überaschungen. Mestre Sala und Porta Bandeira tanzten in Kostümen mit indigenen Mustern. Die Porta Bandeira wurde dabei schwanger dargestellt und “gebar“ mitten auf der Avenida ein Kind. Einen kleinen Aufschrei gab es bei der Comissão de Frente, bei der ein Mann geköpft wurde. Bei einigen Indio-Völkern Südamerikas waren Menschenopfer üblich. Geopfert wurden dabei auch Gegner, die anschließend verspeist wurden, um Kraft und Fähigkeiten des Getöteten aufzunehmen. Gesehen wurde dies als besondere Ehre.
Portela ließ mit Hilfe fantasievoller Kostüme Töpferwaren und geschnitzte Tiere aufziehen sowie ebenso Tänzer und Flötenspieler. Sie zeigte damit die reichhaltige Kultur der Tupinambás. Der artenreichen Natur widmete sie einen eigenen imposanten allegorischen Wagen mit Affen, Jaguars, Papageien und Delfinen der Guanabara-Bucht in dessen Mitte ein gigantischer Indio-Junge auf der Flöte spielte. Verkörpert wurde damit auch der Atlantische Regenwald, der Lebensraum der Indio-Völker war und ebenso die Fähigkeit der indigenen Völker von der Natur zu leben ohne sie zu zerstören.
Im Gegenzug dazu waren in einigen Alas Hinweise auf die Zerstörung der Natur durch die sogenannte zivilisierte Gesellschaft zu finden, wie verdorbene Fische an Kostümen oder Müll.
Im Abschlusswagen der Portela wurde aus dem Paradies die Stadt Rio de Janeiro mit Hochhäusern mit verspiegelten Glasfassaden. In denen steckten als Ausdruck der Resistenz der indigenen Völker Pfeile. Angespielt wurde damit auch auf die heutige Lage der Indigenen Brasiliens, die angesichts der aktuellen Politik starken Bedrohungen gegenübestehen. Präsent waren auf dem Wagen auch indigene Repräsentanten.