Auch in der zweiten Nacht der Samba-Paraden im Sambódromo da Marquês de Sambucaí haben die Elite;Schulen wieder das Publikum in Staunen und Begeisterung versetzt. Sie haben sich Fake News gewidmet und ebenso der Urbanisierung. Herausragende Persönlichkeiten wurden geehrt und die Wege der Menschheit aufgezeigt. Erzählt wurde zudem auf ungewöhnliche Weise die Entstehungsgeschichte der Hauptstadt Brasília. Geschehn ist dies mit einzigartigen Spektakeln, die weltweit in über 70 Ländern ausgestrahlt wurden.
Den Reigen der zweiten Paradenacht Rio de Janeiros hat São Clemente eröffnet. Sie hat eine beachtenswerte, witzige und satirische Parade geliefert, die am Ende vom Publikum mit stehenden Ovationen bedacht wurde.
Aufhänger war die Geschichte zweier Pfarrer, die sich in der brasilianischen Stadt Ouro Preto zugetragen haben soll. Dort haben zwei Pfarrer zwischen zwei Kirchen darüber gestritten, welche ihrer Kirchen die mitgebrachte Heiligenstatue erhalten soll. Der Schlitzohrige unter den Pfarrern schlug vor, dass sie die Statue doch auf seinen Esel binden und diesen in die Mitte des Weges stehen könnten. Die Kirche, in deren Richtung er gehe, erhalte dann die Heiligenfigur. Logisch, der Esel ging in die Richtung der Kirche seines Herren.
Die Geschichte wurde nicht nur von der Comissão de Frente vorgeführt, sondern erhielt auch eine eigene Allegorie. Die wurde von einem Plüschesel mit verschmitzten Gesichtsausdruck überragt.
Erzählt hat São Clemente anhand diesen Aufhängers auf witzige Art Geschichten, die tatsächlich stattgefunden haben und bei denen andere übers Ohr gehauen wurden, wie das Angebot vom Verkauf von Grundstücken auf dem Mond.
Gespart wurde auch nicht mit Kritik. Angeprangert wurde das Geschäft einiger Freikirchen mit dem Verkauf eines Platzes im Himmel. Pfarrer waren als Wölfe im Schafspelz dargestellt und in den Kirchen häuften sich Goldbarren.
Politiker traten als Riesenmund auf, der alles verspricht, um gewählt zu werden. Angespielt wurde ebenso auf den Skandal der “laranjas“, in dem die Partei verwickelt ist, welcher der Präsident Brasiliens angehört hat, als er die Wahlen antrat. Mit “laranjas“ (Orangen) werden in Brasilien Personen bezeichnet, deren Namen verwendet werden, um unberechtigterweise Geld zu erhalten oder Besitz vor dem Fiskus zu verbergen. Auch die Percussiongruppe zog in orange auf.
Von einem der allegorischen Wagen regnete es Korruptionsgeld. Auch er wurde von laranjas (Orangen) flankiert. Auf ihm tanzte der Humorist Marcelo Adnet als Präsident Jair Bolsonaro. Adnet ist in Brasilien mit satirischen Programmen bekannt geworden sowie für seine Nachahmungen von Politikern. Er war Co-Autor des diesjährigen Sambas der São Clemente.
Auch die Fake News, in denen die Partei des Präsidenten sowie zwei seiner Söhne verwickelt sein sollen taucht in Form einer Allegorie auf. Bei der zog die Maschine der Fake-News die Fäden einer Pinocchio-Marionette.
Seit zehn Jahren tritt São Clemente in der Elite-Gruppe der Sambaschulen auf. Mit ihrer am Montag (24.) gebrachten, herausragenden Darbietung wird sie dies wohl auch weiterhin tun.
Vila Isabel hat das Publikum des Sambódromos vom ersten Schritt auf die Samba-Avenida bis zu ihrem Auszug in Atem gehalten und immer wieder für Erstaunen und Überraschungen gesorgt. Erzählt hat sie die Entstehungsgeschichte der Hauptstadt Brasília aus einem völlig neuen Winkel. Grundlage war eine erfundene Legende, dessen Hauptfigur ein Indio-Junge ist, der kleine Brasilien. Groß wird er erst, nachdem er sein Volk kennenlernt. Dessen Kulturen, Einzigartikeiten und Fähigkeiten vereinen sich letztlich in der Hauptstadt Brasília.
Dargestellt hat Vila Isabel dies mit luxuriösen und detailreichen Kostümen und Allegorien, mit denen die verschiedenen Regionen des Landes symbolisiert wurden. In den Alas der tanzenden Menschen kamen die Biome des Landes wie Regenwälder, Pampa, Cerrado und der trockene Nordosten auf die Avenida.
Die Natur und der Lebensraum des Indio-Jungens standen auch im Mittelpunkt der Comissão de Frente, die für Aufsehen gesorgt hat. Der Beiwagen zeigte den Indio-Jungen inmitten der Natur, die plötzlich symbolisch in Flammen stand. Vor dem Feuer flüchteten vier Jaguare auf die Avenida. Die als Jaguare verkleideten Akrobaten liefen dabei naturgetreu, so dass der Eindruck von echten Wildkatzen entstand.
Vila Isabel hat die Indios nicht einfach nachgebildet oder sich an Klischees bedient. Vielmehr hat sie die Urvölker des Landes in Blautönen gezeigt mit einem Federschmuck in den Farben Brasiliens, gelb-grün. Auch beim ersten Wagen, den Abre-Alas, standen die indigenen Völker im Vordergrund. Auf ihm war Mutter Erde in Form einer eindrucksvollen Skulptur als Mutter mit dem kleinen Indio-Jungen zu sehen.
Präsentiert wurde die Bedeutung der Indios für Brasilien. Andere Allegorien und Alas zeigten die Kulturen der Völker, die nach 1500 ins Land kamen. Nicht vergessen wurden dabei die Menschen aus Afrika. Alle gemeinsam machten sich letztlich auf den Weg nach Brasília, das durch sie entstanden ist und mit dem letzten allegorischen Wagen verkörpert wurde.
Vila Isabel ist eine einzigartige Parade gelungen, mit der auch auf die Wichtigkeit jedes Einzelen für eine funktionierende Gesellschaft verwiesen wurde. Vila Isabel hat im vergangenen Jahr den dritten Platz belegt und darf sicherlich auch dieses Jahr wieder als einer der Titelkandidaten eingestuft werden.
Eine Welt des Zirkus kam mit Salgueiro auf die berühmte Samba-Avenida Rio de Janeiros. Mit seinem Enredo hat Salgueiro Benjamin de Oliveira geehrt. Er war der erste schwarze Clown Brasiliens. Würde er noch leben, würde er dieses Jahr seinen 150 Geburtstag feiern.
Benjamin de Oliveira war aber weit mehr als “nur“ Clown, wie Salgueiro mit fantasievollen Kostümen gezeigt hat. Er war Tänzer, Schriftsteller, Schauspieler, Regisseur, Sänger und Komponist.
Alas und allegorische Wagen ließen die Zuschauer in die Welt des Zirkus eintauchen und ebenso ins Theater. Weil das Theater im 19. Jahrhundert den oberen Gesellschaftsschichten vorbehalten war, hat Benjamin de Oliveira dieses in den Zirkus gebracht. Der wurde wiederum von der ärmeren Bevölkerung besucht. Auf diese Weise kamen auch die weniger gut gestellten Familien in den Genuss von Theaterstücken und Opern. Auch das wurde von Salgueiro ansprechend dargestellt.
Das wahre Gesicht Benjamins, das eines schwarzen Mannes, war indes erst auf dem letzten der allegorischen Wagen zu sehen. Auf dem stand Benjamin de Oliveira in Form einer großen Skulptur, die zunächst ihr Gesicht mit einer weißen Maske bedeckte und es dann freigab. Gewidmet war der Wagen aber allen Clowns und Harlekins Brasiliens.
Einen Wermutstropfen gab es allerdings für Salgueiro. Der Wagen des Zirkusspektakels war mit all seinen Aufbauten und Skulpturen von Zirkustieren so schwer, dass er Schwierigkeiten hatte, vorwärts zu kommen. Entstanden ist auf der Samba-Avenida deshalb eine große Lücke, was beim Kriterium Harmonie zu weniger guten Noten führen dürfte.
“Dort, wo die Träume wohnen“ lautete der Titel des Enredos von Unidos da Tijuca, bei dem es um die Architektur und die Urbanisierung ging. Verantwortlich dafür zeichnete der Carnavalesco Paulo Barros. Der hat schon am Samstag in São Paulo ein einzigartiges Spektakel zum Thema Liebe auf die Samba-Avenida gebracht. Jetzt war Rio de Janeiro an der Reihe.
Auf einzigartige Weise hat Unidos da Tijuca einen Streifzug durch die Architekturgeschichte unseres Planeten geboten. Männer und Frauen verwandelten sich in bauliche Denkmäler der Menschheit wie Pyramiden, griechische Tempel oder die Tempel der Azteken. Zwischen ihnen wurden Modelle der denkwürdigen Bauwerke mitgeführt.
Die Geschichte beinhaltete ebenso die Architketur Brasiliens mit ihren Kolonialbauten. Gedacht wurde aber auch an die Architektur der Ureinwohner des südamerikanischen Landes. Einer der Alas war den Ocas gewidmet, den Rundhäusern vieler indigener Völker Brasiliens, die enorme Ausmaße annehmen können.
Selbst die Baianas verwandelten sich in ein Bauwerk. Sie tanzten als Kathedrale von Brasília Oscar Niemeyer durch das Sambódromo.
Nicht fehlte ebenso Kritik an Fehlern und der Vernachlässigung von Siedlungsplanungen, durch die sich Siedlungen ohne Kontrolle ausbreiten. Barros ließ zudem Obdachlose auftreten, zeigte kanalisierte Flüsse voller Müll, Staus und die Abholzungen zum Bau von Großprojekten, Industrie und Wohnanlagen. Ein allegorischer Wagen war zudem der Erderwärmung gewidmet. Bestückt war er mit auf einer schmelzenden Scholle sehenden Eisbären, während sich unter ihnen der Wohlstandsmüll häufte.
Die abschließende Allegorie war dem Traum von einem Rio de Janeiro gewidmet, in dem auch die Favelas mit ihren Menschen integriert sind, in dem es Frieden gibt und auch das Grün seinen Platz hat. Präsentiert wurde dies mit einem Wagen voller Pflanzen, Menschen, die sich in eine urbanisierte Favela verwandeln und einer 14 Meter hohen Christusstatue, dem Wahrzeichen Rios.
Mocidade Independente de Padre Miguel
Die brasilianische Sängerin Elza Soares ist bereits für Mocidade Independente de Padre Miguel bei mehreren Paraden aufgetreten. Jetzt ist sie es selbst, die von Mocidade in den Mittelpunkt ihres Enredos gestellt wurde. “Elza Deusa Soares“ lautete dieses. Carnavalesco Jack Vasconcelos hatte im Vorfeld ein poetisches und einfühlsame Parade über das Leben der Diva der brasilianischen Musik versprochen. Sein Versprechen hat er gehalten.
Mit einem Feuerwerk an Farben und aussagekräftigen Allegorien stellte er wichtige Station des Lebens von Elza Soares dar. Nicht vergessen wurden dabei Barrieren, die sie zu überwinden hatte und Niederschläge. Diesen war ein eigener allegorischer Wagen gewidmet. Der verdeutlichte gleichzeitig, dass sich die Dame mit der tiefen Stimme trotz allem nie hat aufhalten lassen. “Zirkus des Lebens“ war er überschrieben. Auf ihm ein großer schwarzer Panther umringt von Widernissen des Lebens dem die schwarze Sängerin immer wieder gegenüber stand, wie Vorurteile und Moralismus.
Die Comissão de Frente veranschaulichte Herkunft und Aufstieg Elza Soares, die in der Favela Padre Miguel unter ärmlichen Verhältnissen ihre Kindheit verbracht hat. Für Überraschung sorgten dabei technische Effekte. Die Holzhütten der Favela öffneten sich und gaben eine Bühne für mehrere Elzas frei während sie in einem Hologramm auf die Avenida projeziert wurde. Die Elzas standen dabei auch stellvertretend für die vielen Frauen, die täglich mit ihrer Arbeit ums Überleben kämpfen.
Die Sängerin und Komponistin selbst fuhr auf einem Wagen sitzend mit. Über ihr prangte ein riesiger Mund, um ihre gewaltige Stimme zu symbolisieren. Elza Soares feiert 2020 ihren 90sten Geburtstag. Die große Dame der Musik zeigte sich beim Abschluß der Paradé sichtlich bewegt.
Mit luxuriösen Kostümen, prächtigen Allegorien und etlichen markanten Momenten hat Beija-Flor die Wege der Menscheit ins Sambódromo gebracht. Dargestellt wurden diese von 3.200 Männer und Frauen, die in herausragenden Kostümen die Milchstraße verkörperten, die Seidenstraße, berühmte Handelsrouten und ebenso Pilgerwege. Den heiligen Wegen war auch einer der allegorischen Wagen gewidmet, in dessen Mitte ein stilisierter Kirchturm 25 Meter in die Höhe ragte.
Ein anderer allegorischer Wagen war mit “Pé de muleque“ überschrieben, “Fuß des Jungen“. Genannt wird so eigentlich eine Süßigkeit aus Erdnüssen. Die erinnert an die Hornhaut der Füße von Jungen, die barfuß über die Erdstraßen gelaufen sind. Erinnert wurde damit aber auch an die erste gepflasterte Straße Rio de Janeiros, die von Sklaven gebaut worden ist.
Auch die teilweise mehrere hundert Kilometer langen Wege der indigenen Völker Südamerikas über die Anden oder durch die Wälder zogen über die Samba-Avenida.
Nach dem Enredo Beija-Flors führen alle Wege letztlich ins Sambódromo Marquês de Sapucaí. Schließlich erzählen dort die Sambaschulen die Geschichten der Welt auf ihre einzigartige Weise, die weltweit Millionen Menschen begeistert. Schlußfolgich galt deshalb auch der Abschlusswagen der Beija-Flor ihr selbst. Der war in Form eines Beija-Flor, eines Kolibri, gestaltet. Umrundet haben die bewunderswerte Allegorie zur Begeisterung des Publikums dabei 400 kleine von Batterien angetriebene Kolibris.
Die traditionsreiche Beija-Flor hat im vergangenen Jahr lediglich den elften Platz belegt. Mit ihrer ansprechenden Darbietung dürfte sie in diesem Jahr jedoch wieder ganz vorne mitspielen.