In Brasilien erhalten nicht nur Rollstuhlfahrer und behinderte Menschen Privilegien, sondern auch fettleibige. So auch bei der Weltmeisterschaft 2014, deren Gastgeber das südamerikanische Land ist, denn nach den Landesgesetzen müssen in den Stadien einige extra grosse Sitze gebaut werden. Nach einem Medienbericht sind diese zwar doppelt so gross – jedoch auch doppelt so teuer.
Es gibt Bilder von U-Bahn-Haltestellen in São Paulo mit Schalensitzen, wie es sie überall auf der Welt in U-Bahn-Haltestellen gibt. Doch daneben steht ein Schalensitz, der doppelt so breit ist. Eine kleine, blaue Wanne. Dieser Sitz ist für fettleibige Personen reserviert. Denn die geniessen in Brasilien besonderen Schutz, ähnlich wie behinderte Menschen.
In den vergangenen Jahren haben sowohl Regionalparlamente wie auch der Nationalkongress in Brasilia Gesetze zur Unterstützung fettleibiger Menschen beschlossen. Demnach hat sich der öffentliche Nahverkehr auf übergewichtige Menschen einzustellen, in Konzert- und Konferenzhallen müssen Sonderplätze bereitgestellt werden – und auch in Sportstadien haben adipöse Bürger ein Anrecht auf angemessene Sitze.
Auch bei Olympia 2016 Extra-Sitze
Die Fussball-Weltmeisterschaft im kommenden Jahr wird somit die erste sein, die in ihren Stadien für fettleibige Menschen Sondersitze bereitstellen lässt. Bereits beim Confed Cup im Sommer werden diese Sitze das erste Mal bei einem FIFA-Turnier zusehen sein. Da es sich um ein Bundesgesetz handelt, werden sie auch bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio zu sehen sein.
Bislang ist nur das Stadion in Fortaleza fertiggestellt. Wie die brasilianische Regierung schreibt, ist das Stadion Castelão ein Beispiel dafür, wie der Fussball die Gesetzgebung optimal umsetzen sollte. Von den 63.903 Sitzen sind 1675 für beeinträchtigte Besucher reserviert, das sind 2,4 Prozent (gesetzlich ist nur ein Prozent vorgeschrieben). Davon 335 für Rollstuhlfahrer, 1220 Personen mit eingeschränkter Mobilität und 120 Sitze für fettleibige Besucher. Diese Sitze sind im gesamten Stadion verteilt.
Die Nachrichtenagentur AP berichtet, dass WM-Besucher eine ärztliche Bescheinigung benötigen, in dem ein Body-Mass-Index (BMI) von mehr als 30 nachgewiesen ist, um ein Sonderticket erhalten zu können. Sowohl Brasilianer als auch Gäste aus dem Ausland können sich bewerben. Die englische Boulevardzeitung The Sun will erfahren haben, dass die XXL-Sitze für Menschen bis zu 255 Kilogramm geeignet sind.
Fettleibigkeit steigt rasant
Fettleibigkeit hat sich im aufstrebenden Brasilien in den vergangenen Jahren zu einem Problem entwickelt. Beobachter sprechen schon von einer Epidemie. Nach einer Studie der Brasilianischen Gesellschaft für Fettleibigkeit und Stoffwechselproblemen Abeso aus dem Jahr 2012 sind fast die Hälfte aller Erwachsenen in Brasilien übergewichtig, etwa 15 Prozent gelten demnach als adipös. Tendenz stark steigend.
Das Land erlebte zuletzt einen wirtschaftlichen Boom. Bevölkerungsschichten, die vor 20 Jahren noch Probleme hatten, genug zu verdienen, um ihre Familien zu ernähren, haben den Anschluss an die Konsumgesellschaft geschafft. Die positiven Folgen für die Geldbörsen der Mittelschicht führten bei vielen aber zu negativen Folgen für den Körper, denn das verdiente Geld fliesst in die Kassen von Fast-Food-Unternehmen, die ebenso einen Boom in Brasilien verzeichnen können. Zudem bleibt zwischen der Arbeit und dem Konsum dieser ungesunden Ernährung kaum noch Zeit für ausreichend Bewegung.
“Wir sind in einer absolut alarmierenden Situation“, sagte bereits 2010 Brasiliens damaliger Gesundheitsminister José Gomes Temporao: “Wenn wir so weitermachen, werden in zehn Jahren zwei Drittel übergewichtig oder fettleibig sein wie in den USA.“