Die Brasilianer gehören weltweit zu den aktivsten Nutzern sozialer Medien im Internet und belegen bei Facebook, Twitter und Youtube Spitzenplätze. Um die Daten seiner Nutzer vor Spionage zu schützen, will die brasilianische Regierung jetzt mehr Internetknoten aufbauen, in denen grosse Datenmengen übertragen werden.
„Brasilien will die Zahl der unabhängigen Internetverbindungen mit anderen Ländern erhöhen“, gab der Mediensprecher der Präsidentin Dilma Rousseff unlängst bekannt. In Zukunft will man nur noch Hard- und Software einkaufen, die den brasilianischen Bestimmungen für den Datenschutz entsprechen. Geplant ist auch, für die militärische und die Internetkommunikation, 2016 einen eigenen Satelliten ins Weltall zu schiessen. Darüber hinaus hat die Post vor, ebenfalls im kommenden Jahr, einen verschlüsselten E-Mail-Service anzubieten – als Alternative zu Google und Yahoo.
Wenn man das so hört und liest, bekommt man von Brasilien durchaus den Eindruck eines Landes mit hoch entwickeltem Kommunikationssystem und einem Respekt gebietenden, visionären Blick in die Zukunft.
Wer allerdings die Situation vor Ort erlebt – sowohl in den Ballungszentren als auch in den ländlichen Regionen – dem offenbart sich ein ganz anderes Bild. Es gibt zwar schon längere Zeit Internetcafés in ganz Brasilien, an allen Flughäfen existieren Hotspots für WLAN, gute Hotels und entsprechende Restaurants verfügen ebenfalls in den meisten Fällen über WLAN-Anschlüsse gratis – jedoch was ihre Funktionsfähigkeit betrifft, liegt noch sehr vieles im argen!
Betrachten wir nur mal die Geschwindigkeit im brasilianischen Internet, sie lag zu Beginn des Jahres 2015 bei einem Durchschnitt von 2,2 Megabit pro Sekunde (Mbps) und damit deutlich unter dem weltweiten Durchschnittswert von 3,2 Mbps. Selbst bei Spitzenwerten von 18,9 Mbps erreichte das grösste Land Südamerikas nur Platz 73 im weltweiten Ranking.
Eigentlich unverständlich, denn andererseits gibt es nur wenige Länder, deren Einwohner so viel Zeit mit dem Internet verbringen, wie die Brasilianer – nämlich 3 Stunden und 51 Minuten täglich mit dem Smartphone und weitere 5 Stunden und 38 Minuten am Computer oder Tablet zuhause – diese Durchschnittswerte wurden durch eine weltweite Studie ermittelt. Insgesamt sind das mehr als 9 Stunden Internetkonsum pro Tag! Die Erklärung für das schlechte Abschneiden der Brasilianer im Ranking liegt sicher auch in der Tatsache, dass sie mindestens die Hälfte dieser Zeit mit Warten durch die langsamen Verbindungen, mit mehrmaligen Abstürzen und wiederholtem Einloggen verbringen müssen – und es gibt öfter Tage, da funktioniert das Internet gar nicht.
Längst haben die Internetanschlüsse die Zahl der Einwohner des Landes überschritten, die inzwischen bei rund 205 Millionen liegt, während schon 276 Millionen Internetanschlüsse per Handy registriert sind. Inzwischen gibt es kaum einen abgelegenen Winkel in diesem riesigen Land, dessen Bewohner noch nicht per Mobiltelefon oder Smartphone kommunizieren, mit Ausnahme einiger weniger indigener Waldmenschen in ihren unzugänglichen Dschungelverstecken, an denen die gesamte technische Entwicklung der zivilisierten Welt bisher spurlos vorübergegangen ist.
Das Mobiltelefon mutierte innerhalb weniger Jahre zu einem Smart-Phone, einem Allround-Gerät, mit dem man nicht nur telefonieren, sondern auch fotografieren und sogar Videos produzieren kann, und hat inzwischen eine geradezu euphorische Akzeptanz all derer erlebt, die nun endlich ihre gesamten Gefühlsregungen einfach per Whatsapp, Facebook, Instagram und Selfies auf Knopfdruck bündeln und verschicken können.
Zirka 56% der besser gestellten Brasilianer verfügen über einen schnelleren Internetzugang via 3G oder 4G-Technik für ihr Smartphone – fast die Hälfte ist dagegen auf die langsame 2G-Version angewiesen. Der angekündigte und oft versprochene Ausbau verzögert sich weiter, denn in den Kassen der zuständigen Behörden und Providern ist Ebbe – obwohl die Regierung eine Investition von Milliarden für die Erweiterung des Netzes versprochen hat.
Zieht man in Betracht, dass nahezu das gesamte Telefon- und Internetverbindungsnetz in Brasilien über der Erde verlegt ist, wo die Kabel sowohl den Naturgewalten als auch menschlicher Willkür ausgeliefert sind, so muss man sich schon wundern, dass die Nutzer wenigstens einigermassen mit diesem prekären System zurechtkommen.
An Internetanbietern fehlt es allerdings in Brasilien nicht. Unter den grössten (Claro, Oi, Nextel, TIM, Vivo) wird, je nach Region, der eine oder andere als “besser“ eingestuft, womit derjenige Anbieter gemeint ist, dessen Verbindung wenigstens über einige Stunden hinweg stabil zu sein pflegt – also ohne Unterbrechungen funktioniert. Als Tourist hält man sich vorzugsweise an entsprechende WIFI-Einrichtungen der Hotels, mit Passwort gesichertem Netz. Die erlauben in der Regel auch eine vertretbare Geschwindigkeit bei der Abfertigung von Mails oder beim Surfen im Internet.
Für meinen längeren Aufenthalt in diesem Jahr habe ich mir zwei Websticks für mobiles Internet (3G und 4G) inklusive WIFI für zwei Monate zum testen zugelegt – beide vom Anbieter Vivo, mit einem monatlichen Datenvolumen von 12 GB – einer für Windows 7/8 und 10, der andere für OS ab 10.10.
Fazit: Die vom Verkäufer versprochenen 1 (Mbps)! auf einem Landsitz, der nur 5 Kilometer ausserhalb der Stadt liegt, waren ein leeres Versprechen – der von mir tatsächlich erreichte höchste Speed lag dort bei jämmerlichen 235kb, und die längste Funktionsphase ohne Unterbrechung rund 3 Stunden – und das zwischen 2:00 und 4:15 Uhr in der Nacht!
Folgende Erfahrung habe ich gemacht: Ab 7:00 Uhr früh kommt man, mit etwas Glück und ziemlich viel Geduld am ehesten ins Netz. Ab 10:00 bis 18:00 Uhr geht in der Regel nicht viel, und zwischen 19:00 bis nach 23:00 Uhr sollte man gar keinen Versuch mehr machen, um nicht mit unerledigten Aufgaben ins Bett zu sinken.
Zugegeben, der Standort ist ein wichtiger Faktor, durch den dieser Frust entweder abnimmt, oder noch steigt. Die meisten Provider sind daran ihre Kapazitäten kontinuierlich zu erweitern – zum Beispiel Vivo mit dem “100 Mega Internet Fibra“ – eine schnelle Verbindung, die jedoch vorzugsweise in Grossstädten, und dort auch nicht einmal flächendeckend, angeboten wird. Sollte es denn nicht möglich sein, die Infrastruktur auch ausserhalb der Städte so zu optimieren, dass man schon mal einen Tag darauf warten muss, sich einloggen zu können – egal ob es regnet, die Sonne scheint oder der Mond am Himmel steht?
Und wäre es unter den gegebenen prekären Zuständen nicht sinnvoller, das viel zu hoch gesteckte Ziel eines “unabhängigen Internets mit eigenem Satelliten“ erst einmal in der Schublade zu belassen, um sich auf eine funktionierende, flächendeckende Abdeckung zu konzentrieren? Denn schon die wird bei Brasiliens kontinentalen Dimensionen sicher noch ein paar Jahre in Anspruch nehmen.
Man darf gespannt sein auf die nächsten internationalen Vergleiche und Statistiken, die enthüllen werden, welchen Weg Brasilien in der Weiterentwicklung seines Internets nun eingeschlagen hat. Andere Länder, andere Kommunikationsverbindungen.