Das Geheimnis des Erfolges von Hans Stern war die Nähe zu dem grössten Schatz Brasiliens – dem einfachen Volk. Bis ins hohe Alter besuchte Hans Stern die Garimpeiros, die Edelsteinsucher in den Minen des Landes. Dort, wo die Menschen in der Wildnis nach dem Rohmaterial suchen, welches er dann in seinen Schleifereinen und Goldschmieden zu wahren Schmuckstücken verarbeitet, dort begutachtete er die Ware, kaufte sie ein. Sein ganzes Leben lang behandelte er diese einfachen Menschen mit dem grössten Respekt – und schaffte somit die Basis für ein Imperium mit geschätzten 100 Millionen Euro Umsatz jährlich und 3.000 Mitarbeitern.
Die Geschichte beginnt vor über 60 Jahren in Essen. Als in der Reichsprogromnacht das Geschäft seines Vaters angezündet wird, flüchtet die jüdische Familie 1939 nach Brasilien. Der damals 17-jährige Hans Stern, der blind geboren wurde und erst mit zwei Jahren sehen konnte, fing in seiner neuen Heimat als Stenotypist an zu arbeiten. Später fand er eine Anstellung bei einer Firma, die Schmucksteine importierte. Stern sah seine Chance und knüpfte Kontakte zu den Garimpeiros im Hinterland, kaufte ihnen die Steine ab und verkaufte sie in den aufstrebenden Metropolen Rio de Janeiro und São Paulo.
Als er 1945 sein erstes kleines Exportgeschäft eröffnete, hatten die brasilianischen Edelsteine keinen internationalen Wert – zumal es nach internationaler Meinung lediglich Halbedelsteine waren. Hans Stern war aber überzeugt von seinen vielfarbigen Schätzen und stritt mit den renommierten Händlern darüber, dass es eben doch Edelsteine sind. Denn “Halbedelsteine gibt es genauso wenig wie eine halbschwangere Frau“, wird er noch heute gerne zitiert.
Es sollte jedoch über ein Vierteljahrhundert vergehen, bis ein grosses internationales Institut endlich den wahren Wert der brasilianischen Edelsteine bestätigte. 1971 folgte das amerikanische geologische Institut seiner These und die Preise der Steine schossen in die Höhe. Zu diesem Zeitpunkt hatte Hans Stern schon in allen Winkeln Brasiliens die wertvollen Objekte aufgespürt und Verträge mit unzähligen Minenbesitzern abgeschlossen. Bereits seit über einem Jahrzehnt untersuchte er die verschiedenen Steine und katalogisierte sie einem eigenen Edelsteinlabor.
Stammsitz seines Unternehmens ist seit 1983 Rio de Janeiro. Im Stadtteil Ipanema richtete er auf 14.000 Quadratmetern Verkaufsflächen sowie eine Edelsteinschleiferei ein, heute sind zudem noch viele schöne Stücke in einem Edelsteinmuseum zu bewundern. Niederlassungen in weiteren Ländern folgten. Mittlerweile ist das Unternehmen H. Stern in 12 Ländern vertreten und nach Tiffany und Cartier der drittgrösste Schmuckkonzern der Welt. 160 eigene Geschäfte besitzt der Konzern, 80 davon in Brasilien, wo rund 70% des Umsatzes erwirtschaftet werden.
Doch Hans Stern ist sich immer selbst treu geblieben. Der medienscheue Edelsteinliebhaber besuchte lieber die Garimpeiros als sich zu offiziellen Anlässen zu zeigen, Fotos des erfolgreichen Geschäftsmannes existieren nur wenige. 1999 konnte jedoch ein deutsches Kamerateam den mittlerweile 77-jährigen bei einem Ausflug ins brasilianische Hinterland begleiten. In der Reportage “Schatzkammer Brasilien“ des SWR kommt der “König der Edelsteine“, wie Hans Stern in Brasilien genannt wird, auch selbst zu Wort. Auf die Frage, ob er denn damals als junger Deutscher aus der Stadt Schwierigkeiten gehabt hätte, von den Garimpeiros akzeptiert zu werden, antwortet er: “Es sind eigentlich immer sehr einfache Menschen gewesen und heute immer noch. Ich hatte überhaupt keine Schwierigkeiten, denn ich habe sie alle immer mit Respekt, mit Höflichkeit und mit Ehrlichkeit behandelt.“
In den letzten Jahren hatte sich Hans Stern immer mehr zurückgezogen, blieb jedoch weiterhin in seiner Firma aktiv. Mehr und mehr übernahm der älteste seiner vier Söhne die Leitung des Konzerns und begann sie auf dem Weltmarkt neu zu positionieren. So wurde das Portfolio z.B. um hochwertige Chronographen erweitert und verschiedene Kollektionen, inspiriert durch Architektur, Musik und Mode wurden erfolgreich lanciert.
Der Mann, der vor 50 Jahren tagelange Reisen mit dem Zug oder mehrere Tage auf dem Pferd auf sich nahm, um die abgelegenen Minen zu erreichen, hatte wohl Zeit seines Lebens das richtige Gespür für den Wert der Schätze tief aus dem brasilianischen Boden. Und er war dem Glanz der Steine verfallen. Bis zuletzt war immer noch auf der Suche nach neuen Steinen, seltenen Exemplaren mit ungewöhnlichen Formen und Farben, die er in einer ganz speziellen privaten Sammlung verwahrte. Edelsteine waren seine Welt und sie machten ihn schliesslich weltberühmt. Doch die Schönheit stand für ihn dabei immer im Vordergrund. Nach dem grössten Glück befragt, gestand er: “Zu sehen, wie aus einem unscheinbaren Rohling ein funkelnder, blitzender Edelstein farbenprächtig geschliffen wird.“
Internationale Stars wie Angelina Jolie tragen heute mit gleicher Anmut seine Kreationen wie Catherine Deneuve bereits vor 20 Jahren. Die Meisterstücke aus seiner Werkstatt sind in Museen rund um den Erdball zu bewundern und auf internationalen Messen sind die Kollektionen genauso vertreten wie in den wichtigsten Katalogen der Branche. Doch eines hat Hans Stern nicht geschafft. Sich zur Ruhe zur setzen. Denn ein Mann, dem die Ideen nie ausgehen, diesen trifft man bis zum letzten Tag in seinem Büro an. Immer auf der Suche nach neuer Inspiration, die uralten Schätze der Berge in zeitlose Schmuckstücke zu verwandeln.
Hans Stern verstarb am 26. Oktober 2007 im Alter von 85 Jahren in Rio de Janeiro. Er hinterlässt seine Frau Ruth, mit der er seit 1958 verheiratet war und seine vier Söhne Roberto, Ricardo, Ronaldo und Rafael.