Pflanzen, mitteilungsbedürftige Wesen
Nicht immer geht es bei der pflanzlichen Kommunikation um den Schutz der eigenen oder anderer Arten aus dem Pflanzenreich. Manchmal kommunizieren sie auch mit dem Tierreich, über ihre Bestäubung. Viele der Pflanzen sind bei ihrer Bestäubung schließlich auf Insekten oder andere Tiere angewiesen. Bei ihrer Unterhaltung mit diesen setzen sie unter anderem auf die Farbenwelt.
Nicht daß Insekten ein Faible für bestimmte Farben hätten. Das Farbspektrum, das sie sehen ist einfach anders, als das, das wir Menschen wahrnehmen. Bienen können beispielsweise die Farbe Rot nicht erkennen. Die Prinzessinenblume Tibouchina heteromalla scheint dies zu wissen. Sie ist eine enge Verwandte des Veilchenbaumes, der in Europas Gartencentern als Balkon- oder Topfpflanze angeboten wird. In Brasilien wächst dieser natürlich im Atlantischen Regenwald.
Beide haben auffällige, violette Blüten. Die scheinen völlig violett zu sein. In ihrer Mitte haben sie allerdings einen kleinen, weißen Kreis. Genau dort liegen die Staubbeutel mit den Pollen und die Griffel mit den weiblichen Eizellen. Wie das große weiße H eines Hubschrauberlandeplatzes, signalisiert der dortige weiße Kreis den Bienen den besten Landeplatz.
Darüber hinaus hilft Tibouchina den fleissigen Pollensammlern auch noch beim Energiesparen. Ist eine Blüte bereits bestäubt worden, verändert sie einfach ihre Farbe. Von Weiß schaltet sie auf Rot, auf die Farbe, die Bienen nicht wahrnehmen. Nach der Bestäubung verändert Tibouchina die weiße Mitte ihrer Blüte einfach in ein Rot. Damit verschwindet das Landesplatzsignal.
Für die Bienen bedeutet dies tatsächlich eine Energie-Einsparung. Mit Hilfe der Pflanzensprache können sie sich ganz auf noch nicht bestäubte Blüten konzentrieren und das Anfliegen der bereits bestäubten vermeiden. Tibouchina selbst profitiert natürlich auch davon. Von ihr werden mehr Blüten bestäubt.
Der Manacá-Baum (Brunfelsia uniflora) geht noch einen Schritt weiter. Er beschränkt sich nicht nur darauf, den besten Bienen-Landeplatz zu markieren. Er verändert gleich die Farbe der gesamten Blüte. Statt weiß präsentiert er die Blüten nach der Bestäubung in einem für die Insekten weniger attraktiven Rosa-Lila. Der stattliche Baum des Atlantischen Regenwaldes präsentiert sich deshalb zur Blütezeit bunt und sorgt für ein farbenprächtiges Spektakel.
Die in der Amazonas-Region heimische Wasserpflanze Vitória régia (Victoria amazonica) macht es ähnlich. Ihre Blüte kann einen Durchmesser von bis zu 30 Zentimetern haben. Meist sind die Blüten weiß. Das gilt zumindest für den ersten Blütentag. An dem verströmt sie auch einen starken Geruch, mit dem Käfer angezogen werden. Die so angelockten Käfer gibt Vitória régia nicht so schnell wieder frei.
Ist der Käfer in der Blüte, schließt sie ihre Blütenblätter und hält den Käfer die Nacht über gefangen. Öffnet sie am nächsten Morgen ihre Blüte wieder, ist diese nicht mehr weiß, sondern rosa und verströmt auch keinen Geruch mehr. Beides ist ein klares Zeichen für die Käfer: „ich bin schon bestäubt, sucht euch eine andere Blüte.“
Fruchtsignal der Pflanzen
Auch bei den Früchten ist die Farbenwahl der Pflanzen keineswegs zufällig. Auch mit ihnen werden Signale ausgestrahlt. Das können wir Menschen leicht und schnell bestätigen. Zumindest in diesem Punkt haben wir Menschen schon gelernt, die Sprache der Pflanzen zu entschlüsseln. Rote Tomaten sind reif, grüne nicht. Gelbe Bananen sind reif, grüne nicht.
Das wissen schon Kinder. Früchtefressende Tiere wissen dies ebenso. Während sie die reifen Früchte verspeisen, verbreiten sie gleichzeitig deren Samen und sorgen so für den Fortbestand der Pflanzen. Würde die Frucht nur gerade von der Staude herunterplumpsen ginge ihren Nachkommen schnell der Platz aus.
Reifehilfe
Je nach Jahreszeit benötigen grün geerntete Bananen ein bis zwei Wochen oder noch länger, um nachzureifen. Das lässt sich mit einer einzigen reifen Banane verschnellern. Wird sie oben auf dem Büschel der unreifen Früchte gelegt, reifen die Bananen in ihrer Umgebung im Nu nach.
Wie bei einem Dominoeffekt verändern sich die grünen Bananen des Büschels von oben nach unten in gelbe und damit reife Bananen. Was aussieht wie Hexerei, hat seinen Grund. Schuld daran ist eine organische Verbindung namens Ethylen. Sie ist für die Reifung der Früchte verantwortlich und wird ebenso von reifen Bananen verströmt.
Das haben die Forscher schon vor einiger Zeit herausgefunden. Genutzt wird dieses Wissen auch beim Handel mit Bananen. Ist es kühl, wird die Reifung verzögert. Sollen sie für das Obstregal des Supermarktes schön gelb und reif sein, werden sie mit Ethylen besprüht.
Lieben Pflanzen klassische Musik?
Das lässt sich so nicht sagen. In den 1970er Jahren war es plötzlich in einigen Kreisen als Wahrheit gehandelt worden, dass Pflanzen auf klassische Musik stehen. In dem von Peter Tompkins und Christopher Bird 1973 herausgegebenen Buch „Das geheime Leben der Pflanzen“ wurde darüber berichtet, dass klassische Musik die Produktivität von landwirtschaftlich genutzten Pflanzen erhöhen würde.
Ob Pflanzen lieber Beethoven oder Queen hören, ist wissenschaftlich noch nicht erforscht. Auch ihre angebliche Klassikvorliebe ist bisher nicht bestätigt worden. Festgestellt haben die Forscher aber, dass Pflanzen tatsächlich auf Klänge reagieren können. Je nach Geräusch kann die Reaktion positiv oder negativ ausfallen.
Bei seiner Doktorarbeit an der brasilianischen Universität Viçosa (UFV) hat Raphael Jonas Cypriano festgestellt, dass die Pflanze Sonnenlieschen (Impatiens walleriana) auf den lautstarken Gesang der Zikaden reagiert. Bei den Sonnenlieschen, die dem Zikadengeräusch ausgesetzt waren, hat er einen signifikanten Anstieg der Photosyntheserate festgestellt. Zwar hat das Sonnenlieschen je nach Entwicklungsstand anders stark reagiert. Anscheinend wird der Gesang von den Pflanzen aber als Signal verstanden, auf das sie mit einer höheren Photosynthese und dem Austausch von Gasen reagieren.
Pflanzen spüren Veränderungen der Temperatur, des Lichtes, des Wasserangebotes durch Niederschläge, kurz, Umweltfaktoren, die sich je nach Jahreszeit ändern. Mit dem Erkennen dieser Faktoren, können Pflanzen einstufen, wie günstig ihre Umgebung und Zeitpunkt für ihre Fortpflanzung sind. „Der Gesang der Zikaden könnte eine weitere Möglichkeit sein, ihre Umwelt wahrzunehmen“, sagt Cyprianos Projektbetreuerin Flávia Maria da Silva Carmo. Zikaden singen nicht das ganze Jahr über, sondern beginnen damit in den warmen Frühlingsnächten.
Allerdings ist nicht jeder Zikadengesang gleich, auch wenn es für unsere menschliche Ohren so scheinen mag. In einem weiteren Versuch hat Cypriano den aufgenommenen Zikadengesang zerstückelt und bunt durcheinandergemischt. Das Vorspielen des Ergebnisses hat den Sonnenlieschen wenig gefallen. Sie haben mit einer geringeren Photosyntheserate reagiert. Auch bei einer Beschallung den ganzen Tag über scheint die Pflanze mit Streß zu reagieren.
Hören von Kaugeräuschen
Dass das Geräusch der Zikaden von Pflanzen wahrgenommen wird, scheint verständlich. Immerhin schaffen es die Insekten mit ihrem „Gesang“ auf hundert Dezibel und mehr. Einige Pflanzen können aber auch kleinste Geräusche wahrnehmen, wie die Kaugeräusche einer an einem Blatt nagenden Raupe, wie Studien zeigen. Spüren sie die Vibrationen der Kaugeräusche reagieren die Pflanzen auf einen möglichen Befall, etwa durch die Aktivierung einer chemischen Verteidigung oder durch das „Heranrufen“ von Schlupfwespen mit Hilfe der VOCs, flüchtigen organischen Verbindungen. Bestimmte Schlupfwespenarten legen ihre Eier in Raupen. Die werden von den Wespenlarven letztlich dann von innen aufgefressen und die Pflanze hat ihre Ruhe.
Ohren benötigen Pflanzen übrigens nicht. Klänge und Geräusche sind nichts anderes als Schallwellen. Die von ihnen erzeugten Vibrationen können auch von den Pflanzen wahrgenommen oder gespürt werden.
Einige Forscher gehen davon aus, dass ebenso die vom unterirdisch fließendem Wasser erzeugten Geräusche von den Wurzeln der Pflanzen wahrgenommen werden und diese sich entsprechend Richtung Wasser ausrichten.
Das unterirdische Leben der Pflanzen
Noch ist das unterirdische Leben der Pflanzen unzureichend erforscht. Auch wenn es dazu bereits einige Studien gibt, sind sich die Wissenschaftler nicht in allen Schlußfolgerungen einig.
In den 1990er Jahren hat die kanadische Forscherin Suzanne Simard entdeckt, dass Pflanzen Substanzen untereinander austauschen. Studien haben auch gezeigt, dass das unterirdische Gewebenetz von Pilzen eine Rolle beim Substanzen- und Informationsaustausch spielt. Geredet wird von einem Wood-Wide-Web, das unserem Internet in nichts nachsteht.
Eine im Februar im Wissenschaftsmagazin Nature Ecology & Evolution veröffentlichte Studie stellt die Auffassung jedoch infrage, dass Pflanzen über das Wurzelsystem der Bäume und das Mykorrhizasystem der Pilze im großen Stil Informationen und Nährstoffe austauschen. Es gebe keine ausreichenden Beweise, dass dieses System der Kommunikation tatsächlich so komplex und lebenswichtig ist, wie von einigen Wissenschaftlern konstatiert wird, so das Fazit der Veröffentlichung.
Dass es existiert und eine Rolle spielen mag, wird hingegen auch von ihnen anerkannt. Die Frage ist nur, ob es tatsächlich als Kommunikationsnetz oder zum Austausch von Nährstoffen genutzt wird und inwieweit dies der Fall ist.
Spezialist für Bodenmikrobiologie Fernando Andreote von der Landwirtschaftlichen Hochschule der Universität São Paulo (Esalq-USP) geht davon aus, dass die Mykorrhiza für den Wachstumserfolg der Pflanzen von großer Bedeutung sind. Das Mykorrhizasystem der Pilze kann nach seiner Erklärung mit den Wurzeln der Bäume eine Verbindung eingehen.
Die Bäume erhalten damit die Möglichkeit, weit über ihr eigenes Wurzelsystem hinaus den Boden zu erkunden. Während die Pilze im Wurzelsystem der Bäume einen gewissen Schutz und ebenso die für sie wichtigen Kohlenstoffe erhalten, helfen sie im Gegenzug den Pflanzen bei der Nährstoffgewinnung.
Ein Beispiel einer äußerst ausgeprägten Verbindung von Pilz und Pflanze ist die Orchidee Pogoniopsis schenckii. Sie wächst die meiste Zeit des Jahres unterirdisch und streckt lediglich ihre Blüten durch den Boden hervor. Weil sie selbst kein Chlorophyll enthält, mit dem sie mittels der Photosynthese die für sie lebensnotwendige Energie erzeugen könnte, nimmt sie die Hyphen der Pilze, deren fadenähnliche Geflechtstruktur, zur Hilfe. Lediglich über sie gelangt sie an die für sie notwendigen Nährstoffe, wie die Forscher der Universidade Estadual de Campinas (Unicamp) herausgefunden haben.
Über das feine Netzwerk der Pilze können laut Andreote neben Nährstoffen auch chemische Moleküle transportiert werden, die als Signale dienen. Ob der Nährstoff- und Signalaustausch in dem Umfang geschieht, wie von Suzanne Simard konstiert wird, bedarf aber noch weiterer Abklärung. Die Forscherin geht davon aus, dass Mutterbäume eines Waldes über das Pilznetzwerk auch ihren Nachkommen oder anderen Bäumen Nährstoffe zukommen lassen.
Ein Problem bei der Frage nach der Bedeutung des unterirdischen Netzwerkes ist, dass die komplexen Systeme im Labor nur schwer nachzubilden sind. Hinzu kommt, dass die Reaktionen oft nur in sehr kleinen Mengen in Form von Signalmolekülen auftreten, was ihre Erkennung mit den bisher bekannten Methoden erschwert, so Andreote.
Manchmal ist es aber nicht die Große Menge, die eine Rolle spielt, wie der Lang-Kurztag-Versuch am Laboratório de Cognição e Eletrofisiologia Vegetal (LACEV) der Universität Pelotas gezeigt hat. Bei dem hat schon das nach der Bewässerung der Pflanzen aufgefangene und dann wieder verwendete Wasser für Veränderungen beim Pflanzenwuchs gesorgt. Damit wäre auch das Wasser eine Art Kommunikationsmittel.
Einig sind sich die Forscher jedoch, dass Pflanzen längst nicht so statisch sind, wie wir Menschen glauben. Sie empfangen und senden Signale, reagieren aktiv auf Reize und Veränderungen rund um sie herum, kommunizieren miteinander, sind lernfähig und planen ihre Zukunft, wie André Germeia Parise und Gustavo Maia von der Universität Pelotas es ausdrücken.
Ob Pflanzen Gefühle haben oder nicht, sei dahin gestellt. Fest steht, dass Pflanzen äußerst komplexe Wesen sind, über die es noch viel zu lernen gibt.