Die Invasion des Regierungsgebäudes (Palácio do Planalto), des Kongresses und des Gebäudes des Obersten Gerichtshofes STF hat in Brasilien für große Empörung gesorgt. Hunderte Bolsonaro-Anhänger haben am Sonntagnachmittag (8. Januar) in Brasília ohne großen Widerstand der wenigen anwesenden Polizisten die Regierungsgebäude gestürmt, Fenster zerschlagen und Einrichtung, wertvolle Kunstwerke und Dokumente zerstört. Ganz überraschend kamen die Gewaltakte, die von Regierungsvertretern als terroristische Akte eingestuft werden, jedoch nicht.
Schon am Samstagnachmittag waren in der Hauptstadt des Landes etwa einhundert Omnibusse aus aus verschiedenen Bundesstaaten eingetroffen. In den sozialen Netzwerken war zu Protesten gegen den am ersten Januar vereidigten Präsidenten Lula aufgerufen worden. Wie es heißt sollen dabei auch schon Gewaltakte angekündigt worden sein, um ein Chaos zu erzeugen und so einen Ausnahmezustand zu erreichen, der zu einer Militärintervention führen könnte.
Die verantwortlichen für die Sicherheit haben darauf nicht reagiert. Zuständig für die Sicherheit sind in Brasília die Polizei des Hauptstadtdestriktes und der Gouverneur. Gouverneur Ibaneis Rocha ist Bolsonaro-Anhänger. Das gilt auch für seinen Sicherheitssekretär, Anderson Torres, der während der Bolsonaro-Regierung Justizminister war.
Er wurde noch am Sonntag entlassen, soll sich derzeit aber ebenso wie Ex-Präsident Bolsonaro in Florida befinden. Beantragt wurde gegen ihn ebenso ein Haftbefehl. Ibaneis Rocha wurde noch in der Sonntagnacht vom Gerichtshof STF von seinem Amt suspendiert. Vorgeworfen wird ihm Unterlassung seiner Amtspflichten.
Leichtes Spiel für Radikale
Tatsächlich hatten die Protestler leichtes Spiel. Die durften zwar nicht mit dem Auto bis zum Regierungsviertel vorfahren. Für sie wurden aber drei Spuren der sechsspurigen Zufahrtsstraße reserviert, auf der sie sich zu Fuß und unter Polizeischutz den Regierungsgebäuden näherten. Dort selbst waren lediglich mobile Barrikaden errichtet worden, die von wenigen Polizisten betreut wurden. Begründet wurde dies damit, dass in Brasilien friedliche Demonstrationen per Gesetz durchgeführt werden dürfen.
Gegen 15 Uhr am Nachmittag überwand dann aber eine Schar von radikalen Bolsonaro-Anhängern in gelben T-Shirts und mit umgehängten Nationalfahnen die Barrikaden und stürmte Kongress und Regierungsgebäude. Aufnahmen von Journalisten zeigen, dass gleichzeitig etliche Polizisten damit beschäftigt waren, Selfies mit Protestlern zu machen, das Ereignis zu filmen oder einfach nur zuschauten, statt gegen die Vandalen vorzugehen.
In den Gebäuden sorgten die sich selbst als Patrioten bezeichnenden Invasoren für Zerstörung. Sie zerschlugen dutzende Fensterscheiben der unter Denkmalschutz stehenden Gebäude. Warfen Stühle durch die Fenster nach außen, rissen Vertafelungen nieder, zerschlitzten Kunstwerke, zerschmetterten Vasen und Vitrinen. Im Gebäude des Obersten Gerichtshofes STF aktivierten sie zudem die Sprenkelanlage und zerstörten Dokumente. Unter den zerstörten Kunstwerken befindet sich unter anderem ein Werk des Malers Di Cavalcanti. Nicht gelungen ist es den Radikalen, das Büro des Präsidenten zu stürmen, das mit einer Panzertür ausgestattet ist.
Mehrstündiges Wüten in Parlament, Regierungsgebäude und Gericht
Das ganze Ausmaß der Zerstörung wurde erst nach und nach bekannt. So soll aus dem Kabinett des Sicherehteitsministeriums GSI Waffen, Munition und Dokumente gestohlen worden sein. Vermutet wird, dass Invasoren und Diebe Insider-Informationen hatten.
Der Zerstörung Einhalt geboten wurde erst nach Stunden. Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hatte nach Bekanntwerden der Stürmung ein Dekret zur Sicherheitsintervention im Hauptstadtdestrikt erlassen. Erst mit diesem war der Einsatz der Bundespolizei möglich. Lula befand sich zum Zeitpunkt der Invasion in einer von schweren Unwettern gegeiselten Region im Bundesstaat São Paulo.
Gegen 17 Uhr gelang es der Polizei die Gebäude von den Vandalen zu befreien. Etliche der Invasoren wurden dabei festgenommen. Zu weiteren Festnahmen kam es bei der Zerstreuung der Vandalen vor den Gebäuden. Beschlagnahmt wurden zudem Omnibusse, mit denen die Bolsonaro-Anhänger nach Brasília gebracht worden sind. Wie es heißt, soll es 200 bis 400 Verhaftungen gegeben haben. Zum Einsatz gekommen ist ebenso die Spezialeinheit zur Bombenentfernung. Darüber, ob tatsächlich Sprengstoffe gefunden und entfernt wurden, gab es keine Information.
Einstimmige Verurteilung
Von Politikern aller Coleur wird die Stürmung des Regierungsviertels vehement verurteilt und eine umgehende Aufklärung gefordert. Senatspräsident Rodrigo Pacheco hat für Montag eine Sondersitzung des Kongresses einberufen, der sich derzeit eigentlich in Ferien befindet. Verurteilt wurden die Akte selbst von Vertretern rechter Parteien.
Während in Brasília die kriminellen Demonstranten den Rückzug antraten, versuchte in São Paulo eine Gruppe von Bolsonaristas die Avenida 23 de Maio zu blockieren. Mit Transparenten auf denen eine Militärintervention und die Schließung des Kongresses sowie des Obersten Gerichtshofes gefordert wurde.
Anders als in Brasília wurde die rechtswidrige Demonstration in São Paulo von der Polizei jedoch schnell aufgehoben. Ein hartes und schnelles Durchgreifen gegen geplante Gewaltakte hat auch der Gouverneur von Rio de Janeiro angekündigt. Die Gouverneure beider Bundesstaaten stehen ebenso wie Ibaneis Rocha vom Hauptstadtdestrikt Bolsonaro nahe.
Der hat sich aus Florida ebenso zu Wort gemeldet. Zwei Tage vor Ende seiner Amtszeit ist Ex-Präsident Jair Bolsonaro nach Florida gereist. Nach den Vorkomnissen vom Sonntag werden allerdings in den USA schon Stimmen laut, die eine Überprüfung seines Visums und seine Ausweisung fordern. Bolsonaro selbst stellt sich einmal mehr als Opfer hin. Über Twitter schrieb er, dass er immer innerhalb der Gesetze gehandelt hätte und, dass er die „Anschuldigungen ohne Beweise“ vom derzeitigen Staatschef Brasiliens zurückweise. Die Invasion des Kongresses, des Regierungspalastes und des Obersten Gerichtshofes verurteilte er über die sozialen Netzwerke jedoch.
In Brasilien werden indes Forderungen laut, zu überprüfen inwieweit der rechtspopulistische Ex-Präsident Jair Bolsonaro die Ausschreitungen angezettelt hat, sei es direkt durch seine Teilnahme in der Vergangenheit an antidemokratischen Protesten oder indirekt durch sein Schweigen.
Seit seiner Wahlniederlage Ende Oktober ist es in verschiedenen Städten Brasiliens zu Straßenblockaden und Protesten gekommen, bei denen eine Militärintervention gefordert wurde. Seit Wochen haben vor Militärkasernen zudem dutzende Bolsonaro-Anhänger gecampt.
Von Bolsonaro wurden diese jedoch nicht verurteilt. Erst als es im Dezember zu Ausschreitungen und zu einem Versuch kam, ein Polizeigbäude zu stürmen, sprach sich Bolsonaro lediglich gegen Gewalt aus. Bis jetzt hat er seinen Nachfolger zudem nicht offiziell als Wahlsieger anerkannt und darüber hinaus weiterhin Zweifel an der Rechtigkeit der Wahlen gestreut.
Schnelle Ermittlungen
Jetzt soll ermittelt werden, wer die Invasion organisiert und finanziert hat. Angekündigt wurden ebenso Ermittlungen gegen die Sicherheitskräfte. Justizminister Flávio Dino hat zudem angekündigt, dass geprüft werde, die Vandalen neben einer Verurteilung zum Schadensersatz zu verpflichten. Rechnen müssen sie mit Prozessen wegen der Zerstörung öffentlichen Gutes und ebenso wegen Attentat gegen die Demokratie. Laut Medienberichten sollen schon Sonntagnacht erste Finanzierer der antidemokratischen Mobilisierung ausfindig gemacht worden sein. Sie sollen nicht nur Busse gechartert haben, sondern ebenso für Verpflegung und Unterhalt gesorgt haben.