Es waren 13 Zeilen, nüchtern geschrieben, die den Fussball vielleicht für immer verändern werden. “Tor oder nicht Tor“ – diese Fragen wird es nicht mehr geben. Keinen Torklau mehr von Bloemfontain, als der Treffer des Engländers Frank Lampard im WM-Achtelfinale gegen Deutschland nicht anerkannt wurde, kein Wembley-Tor mehr, was zu legendären Diskussionen und Geschichten führte. Der Fussball-Weltverband FIFA hat die historische Regeländerung vollzogen: Die FIFA wird im kommenden Jahr in Brasilien wie erwartet erstmals bei einer Weltmeisterschaft die Torlinien-Technologie einsetzen.
Im Dezember 2012 wurde die neue Technik bei der Klub-WM in Japan getestet und nun wird sie auch beim Confederations Cup in diesem Sommer einem weltweiten Publikum vorgestellt, teilte die FIFA mit und bestätigte damit die bereits im Juli vergangenen Jahres getroffene Entscheidung.
Das neue System solle demnach in jedem der zwölf WM-Stadien installiert werden. Jedoch wird es einen Einsatz dieser Technologie vorerst nicht in der Champions- oder Europa League geben, denn UEFA-Präsident Michel Platini hatte sich bisher immer als Gegner der Technik gezeigt. Bei der Europäischen Fussball-Union (UEFA) gilt sie insgesamt als sehr umstritten, wie auch in der deutschen Bundesliga wird es noch dauern, ehe die Torlinien-Technologie zum Einsatz kommt.
“Ich war immer gegen den Einsatz von Technik im Fussball. Deshalb wird es in den europäischen Wettbewerben keine Torlinien-Technologie geben“, hatte UEFA-Präsident Michel Platini dem SID gesagt: “Auch aus finanziellen Gründen: Wenn ich die Technik in der Champions League und Europa League einführe, kostet mich das jetzt 32 Millionen Euro für 78 Stadien. In fünf Jahren kostet es dann 54 Millionen.“
Bei Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff stiess die Entscheidung auf grosse Zustimmung. “Gegen ein funktionierendes System ist überhaupt nichts zu sagen. Das wird man als Sportler der Fairness wegen akzeptieren“, sagte Bierhoff der Nachrichtenagentur dpa. “Die Liga hatte sich ja immer rausgehalten. In anderen Sportarten wie Tennis gibt es ja solche Technologien schon. Das Bedeutende ist eben die Funktionalität. Wenn die sichergestellt ist, finde ich es positiv“, ergänzte Bierhoff am Rande des SpoBiS-Kongresses in Düsseldorf.
Bereits am 5. Juli 2012 hatte das FIFA-Regelkomitee IFAB einstimmig Grünes Licht für die Einführung technischer Systeme gegeben, die dem Schiedsrichter anzeigen, ob der Ball die Torlinie überschritten hat oder nicht. Vor sieben Monaten war auch der weitere Einsatz von Torrichtern genehmigt worden. Jeder Veranstalter solle künftig selbst entscheiden können, ob Torrichter eingesetzt werden oder nicht. “Der Fussball hat sein menschliches Gesicht behalten. Wenn man Hilfe hat, muss man die auch einsetzen. Für uns als FIFA war klar, was 2010 passiert ist, darf sich nicht wiederholen“, lautete die Reaktion von FIFA-Präsident Joseph Blatter damals.
Seit Beginn des Jahrtausends wurde in den obersten FIFA-Etagen immer wieder über Hilfe durch Technik kontrovers debattiert. Zunächst schienen die technischen Möglichkeiten nicht ausgereift, dann die Kosten für eine flächendeckende Einführung viel zu hoch. Erst nach groben Fehlentscheidungen bei der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika hatte sich Blatter aufgeschlossener gegenüber Technologien gezeigt.
Bei der UEFA findet die Torlinien-Technologie bislang keinen Zuspruch. “Ich bin gegen Technik an sich“, sagte Platini noch im Sommer bei der EM. In Polen und der Ukraine waren stattdessen Torlinienrichter zum Einsatz gekommen – mit mässigem Erfolg. So hatte der Ungar Istvan Vad seinem Schiedsrichter Viktor Kassai einen klaren Treffer der Ukraine gegen England nicht signalisiert und auch in Partien der Champions oder Europa League kommt es immer wieder zu Vorfällen, in denen die Torlinienrichter nicht entscheiden oder falsch liegen.
GoalRef oder Hawk-Eye
Vier Anbieter streiten sich derzeit um den Zuschlag, darunter zwei deutsche Firmen, die die Testphase durchlaufen haben und bald ebenfalls zugelassen werden könnten. Eine Entscheidung, welche Technik bei der WM zum Einsatz kommt, soll Anfang April fallen. Das bereits beim Tennis erprobte Hawk-Eye zur Überwachung der Torlinie (Torkamera) und das GoalRef-System (Chip im Ball) sind bereits lizenziert und haben den “Fifa-Stempel“ als Zertifikat.
Wenn man sich Tennis im Fernsehen anschaut, sieht man immer wieder Slow-Motion-Aufnahmen, die den Ball zeigen, wie er knapp auf oder neben der Linie landet. Diese Technologie wird Hawk-Eye genannt. Das GoalRef-System hingegen erzeugt schwach magnetische Felder um das Tor und funktioniert vergleichsweise wie eine Art Funk-Lichtschranke. Sobald der Ball die Torlinie überquert, wird dies durch kleinste Veränderung des magnetischen Feldes detektiert. Die Information “Tor“ wird über verschlüsselte Funksignale in Echtzeit an die Schiedsrichter übermittelt und auf ihren Uhren angezeigt. Die in einen Ball des dänischen Herstellers Select integrierte Elektronik ist sehr klein und kompakt und wurde vom Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS in Nürnberg entwickelt.
“Endlich, nach all den Jahren hat sich bei der Fifa der gesunde Menschenverstand durchgesetzt“, twitterte Englands ehemaliger Stürmerstar Gary Lineker.