In den vergangenen 24 Stunden sind in den Favelas von Rio de Janeiro mindestens 25 Personen bei Schiessereien ums Leben gekommen. Fast alle getöteten Personen entstammen laut Behördenangaben dem kriminellen Umfeld der Armenviertel der Stadt.
Die neuerliche Gewalt traf die Metropole unter dem Zuckerhut genau am gleichen Tag, an dem sich der Gouverneur von Rio de Janeiro sich mit Vertretern des Verteidigungsministeriums und den Befehlshabern der Streitkräfte getroffen hatte, um zukünftig gezielt die Kriminalität in der brasilianischen Tourismusmetropole besser bekämpfen zu können.
Bereits am gestrigen Vormittag kamen 14 Menschen ums Leben, als sich rivalisierende Drogengangs eine Schiesserei in einer Favela zwischen Stadtzentrum und dem Stadtteil Laranjeiras im Süden lieferten. Die Polizei beendete den Bandenkrieg durch ein massives Aufgebot an Beamten und besetzte letztendlich das Viertel. Aus Sicherheitsgründen musste teilweise ein Verbindungstunnel gesperrt werden. Zuvor war ein Passagier eines Linienbusses durch eine erirrte Kugel tödlich in den Kopf getroffen worden.
Immer häufiger bricht bei der Bevölkerung mittlerweile die Panik aus. Strassen werden gesperrt, Geschäfte schliessen, ein Verkehrschaos bricht aus. Nach Meinung vieler „Cariocas“, den Einwohnern von Rio de Janeiro, könne mittlerweile nicht mehr abgeschätzt werden, wie sich die Situation entwickelt. „Früher gab es ein paar Schüsse in der Favela, dann war wieder Ruhe“ beschreibt ein Anwohner die Situation. „Heute kann es passieren, dass die Drogengangs die Favela verlassen und hier draussen um sich schiessen, Busse in Brand stecken und einen Krieg auf den normalen Strassen anfangen.“
Die Polizei weißt zudem Vorwürfe aus der Bevölkerung von sich, sie würden die Gewalt provozieren. „Das sind ja keine geplanten Operationen. Wenn sich zwei Banden bekriegen, müssen wir hin und für Ordnung sorgen“ erklärte ein leitender Beamter die Aktion. Nach seiner Aussage wurde die Favela nun besetzt und unter Kontrolle. Waffen, darunter Granaten seien ebenfalls beschlagnahmt worden.
Bei der Operation verwendete die Polizei das sog. „Caveirão“, ein kugelsicheres, gepanzertes Fahrzeug. Damit wurden bei der gestrigen Aktion unter anderem die Leichen aus der Favela geholt. Beim Eintreffen der Polizei flüchteten Bandenmitglieder auf einen nahegelegenen Friedhof. Unter den Besuchern brach ebenfalls Panik aus, da Geiselnahmen befürchet wurden. Diese blieben jedoch glücklicherweise aus.
Für den Gouverneur des Bundesstaates, Sérgio Cabral, wurde der Einsatz “sehr kompetent” durchgeführt. „Wir sind am handeln und wir werden weiter handeln“ erklärte er gegenüber Journalisten. Cabral besprach kurz zuvor mit den Vertretern des Verteidigungsministerium und der Streitkräfte um eine zusätzliche Entsendung von 400 Elitesoldaten für die Millionenmetropole. 500 Soldaten sind bereits im ganzen Bundesstaat Rio de Janeiro im Einsatz. Die Regierung in Brasília hat nun 14 Tage Zeit, den Antrag zu entscheiden.
Für den Leiter der Abteilung „Öffentliche Sicherheit“ des Bundesstaates, José Mariano Beltrame, ist eine zusätzliche Entsendung von Soldaten unbedingt notwendig. „Die Armee ist zwar keine Lösung für das Gewaltproblem in Rio de Janeiro. Aber jede kurzfristige Hilfe können wir gebrauchen“ verteidigte er das Gesuch. Probleme bei der eigenen Polizei müssen nach seiner Meinung allerdings auch gelöst werden. Hier seien eine strukturelle Reform, eine bessere Ausstattung und eine bessere Bezahlung der Beamten notwendig.
Ebenfalls am Dienstagmorgen starben im Viertel Bangu im Westen der Stadt weitere sieben Verdächtige, nachdem sie sich ein Feuergefecht mit der Polizei geliefert hatten. Die Beamten waren auf einer Routinefahrt durch eine Favela, als die Verdächtigen aus einem Auto heraus das Feuer eröffneten.
Für viele sind die Opfer nur weitere Tote in einer Statistik. Und ein Blick in die brasilianischen Onlinemedien zeigt durchaus eine gewisse Kontinuität. In überaus kurzen Meldungen wird aktuell berichtet, dass heute Nacht ein Mann in einer Bar erschossen wurde und dass bei einer Polizeiaktion in Norden der Stadt weitere drei Personen getötet wurden.
Schon in den letzten Tagen konnte der Autor dieses Artikels immer wieder von Verletzten und Toten in Rio de Janeiro lesen. Über verirrte Kugeln, Schusswaffenmissbrauch, Überfälle und Bandenkriege kann man somit täglich berichten. Und wenn nicht der Abgabetermin dieses Beitrages nahen würde und man noch ein paar Minuten warten könnte, dann gäbe es mit Sicherheit noch den ein oder anderen weiteren Toten vom Mittwoch an dieser Stelle zu erwähnen. Es ist schliesslich erst 13.45 Uhr Ortszeit.