Seit neun Jahrzehnten breitet der Cristo Redentor hoch oben über Rio de Janeiro seine Arme aus. Am heutigen 12. Oktober feiert er seinen 90sten Geburtstag. Der wird gefeiert mit Andachten, Musikfestivals, sozialen Aktionen und einem Aufruf an alle Fans in der Welt, doch Fotos und Videos mit der berühmten Christus-Statue an das Santuário Cristo Redentor zu schicken. Sie sollen der Grundstein für eine digitale Sammlung werden, die vielleicht einmal weltweit die größte ihrer Art sein wird, so hoffen es zumindest die Wächter des Cristo Redentor.
Die Zahl der Fotos und Videos, die es mit dem Wahrzeichen Rio de Janeiros gibt, dürfte in die Milliarden gehen. Etwa zwei Millionen Touristen besuchen die auf dem Berg Corcovado trohnende Statue Jahr für Jahr. Abgelichtet wird er aber nicht nur von ihnen als Erinnerung oder Gruß in die Heimat.
Auch von der Luft aus, etwa bei Hubschrauberrundflügen, wird geknippst oder von anderen Stadtteilen Rio de Janeiros aus. Ebenso taucht er in zahlreichen Filmen auf. Eins der berühmtesten Beispiele dürfte der Zeichentrickfilm “Rio“ sein. In dem umkreisen die beiden Blau-Aras die Christusstatue. An Fotos und Dokumenten mangelt es deshalb nicht.
Für die Brasilianer selbst ist der Christus mit den ausgestreckten Armen weit mehr als nur ein Monument oder Wahrzeichen. Für viele ist er ein Botschafter der Hoffnung und Mahner an die Liebe. Zu seinen Füßen werden Kinder getauft, Ehen geschlossen, Heiratsanträge gemacht und auch Trauerandachten abgehalten.
Präsent ist er ebenso in dunklen Nächten. Dann wird er mit Led-Lichtern angestrahlt. Im Oktober strahlt er rosa, um an die Voruntersuchungen zu Brustkrebs zu erinnern, im November sind die Männer mit Gelb dran, das für den Prostatakrebs steht. Am Tag Amazoniens wird er grün beleuchtet und am Tag der Erde blau.
Auch während der schlimmsten Phase der Coronavirus-Pandemie hat das Monument Hoffnung ausgestrahlt. Bilder von Ärzten und Krankenpersonal wurden auf ihn projiziert, um sich bei ihnen für ihren unermüdlichen Einsatz zu bedanken. Geehrt wurden ebenso Straßenkehrer, Müllsammler und Verkäufer, Menschen, deren Dienste auch während der Pandemie gearbeitet haben, um den Alltag von Millionen Menschen aufrecht zu erhalten. Gedacht wurde ebenso mehrfach den 600.000 Todesopfern, die der Coronavirus in Brasilien mittlerweile gefordert hat.
Von der Idee zum Bau
Die Idee, auf dem Gipfel des 710 Meter hohen Monte Corcovado ein Monument zu setzen, ist schon im 19ten Jahrhundert aufgetaucht. Damals wollte eine Gruppe Brasiliens Prinzessin Isabel huldigen. Die hat aber abgelehnt und meinte, ein religiöses Symbol wäre wichtiger.
1921 gab es dann einen erneuten Anlauf. Ausgeschrieben wurde sogar ein Wettbewerb. Den hat der aus Rio de Janeiro stammende Ingenieur Heitor da Silva Costa gewonnen. Ein Jesus mit einem Kreuz in der einen und der Weltkugel in der anderen Hand schlug er vor. Die Kunstschule Escola Nacional de Belas Artes befand den Entwurf aber für zu kitschig und wollte eine modernere Lösung.
Mit der Hilfe des Malers Carlos Oswald entwarf Silva Costa schließlich das Bild vom stehenden Christus mit ausgestreckten Armen, ihm zu Füßen lag Rio de Janeiro und die Welt. Damit nicht genug wurde auch der Pariser Art-Deco Spezialist Paul Londowski und der französische Ingenieur Albert Caquot eingeschaltet. Gemeinsam ertüftelten sie die größte Art-Deco-Statue der Welt, den Cristo Redentor.
Leicht war die Umsetzung von der Idee bis zum fertigen Monument jedoch nicht. Angefertigt wurde zunächst ein vier Meter hohes Modell der Christusfigur. Dem folgten zahllose Skizzen und Pläne, wie der Bau schrittweise zu erfolgen hat. Für den 3,75 Meter hohen und 30 Tonnen schweren Kopf sowie für die jeweils 3,20 Meter großen Hände fertigten Londowski und seine Helfer in Paris Gipsmodelle in Originalgröße an. Die wurden in dutzende Einzelteile zerlegt nach Rio de Janeiro verschifft. Mit ihrer Hilfe wurden Gipsformen angelegt, um sie schließlich mit Beton auszugießen und Kopf und Hände zu erstellen.
Hunderte von Einzelteilen wurden mit dem 1884 eingeweihten Trem do Corcovado, dem ersten elektrischen Zug Brasiliens, den Berg hinauf transportiert und dort dann zusammengesetzt, während das acht Meter hohe Podest vor Ort bereits errichtet worden war. Auf ihm bauten dutzende Arbeiter die jeweils 1,35 Meter hohen Füße und dann den Rock, der mehrer Stockwerke umfasst.
Die schwierigste Phase waren die ausgebreiteten Arme. 57 Tonnen wiegt jeder von ihnen. Für die Ingenieure stellte es eine Herausforderung dar, die Arme mit dem Rumpf so ins Gleichgewicht zu bringen, dass die Statue auch stabil steht. Damit nicht genug haben sie in ihre Kalkulationen noch Sicherheitsfaktoren eingebaut. So soll die Statue eine Windstärke von bis zu 250 Stundenkilometern standhalten.
Der Bau war eine gewaltige Leistung. Hunderte von Männern und Frauen waren beteiligt. Für die Deckschicht schnitten dutzende von Frauen über Wochen hinweg vier Zentimeter große und drei Millimeter dicke Dreiecke aus Speckstein und klebten sie auf Pappe, damit sie später auf den Beton geklebt werden konnten. Mindestens eine Million Specksteindreiecke sollen sie für das Monument vorbereitet haben.
Damit bekleidet wurde nur der Außenteil der hohlen Statue, mit einer Ausnahme: dem Herz. Denn auf Wunsch des Kardinals Dom Sebastião Leme hat die Statue auch in seinem Inneren ein Herz bekommen. Das wurde in Höhe des neunten Stockwerkes des Monuments angebracht. Auf der gleichen Höhe ist auch auf der Außenseite ein Herz zu sehen.
Warum die Statue überhaupt mit Speckstein verkleidet wurde? Die Idee dazu hatte Silva Costa. Der hat sich an den berühmten Arbeiten von Aleijadinho inspiriert. Aleijadinho hat im 18. Jahrhundert unter anderem Skulpturen aus Speckstein geschnitzt, die noch heute Portale von Kirchen und Kirchvorplätze in Congonhas, Ouro Preto und anderen Städten des Bundesstaates Minas Gerais zieren.
Weil Speckstein äußerst resistent ist, weder Wasser aufnimmt noch sich bei Hitze verzieht, sollte auch der Cristo Redentor eine Schutzschicht aus diesem Material erhalten.
Fünf Jahre lang wurde an dem Monument gearbeitet und 1.145 Tonnen Beton und Stahl verbaut. Dann war es soweit. Am 12. Oktober, dem Tag der Schutzpatronin Brasiliens, wurde der Cristo Redentor 1931 feierlich eingeweiht.
Entstanden ist er mit der Hilfe der Bevölkerung. Sie war es, die mit ihren Spenden und Aktionen zur Spendensammlung den Bau des 2007 zu eine der siebten Weltwunder der Moderne gewählten Denkmals ermöglicht hat.
Auch wenn das Monument so gebaut wurde, dass möglichst wenig Reparaturarbeiten nötig sind, muss er dennoch jedes Jahr wieder auf Schäden hin untersucht werden. Die gibt es immer wieder, weil der Cristo wegen seiner Exposition immer wieder von Blitzen getroffen wird.
Mindestens sechs Blitze schlagen jedes Jahr in das Monument ein. Dann seilen sich Arbeiter an der Statue ab, um Löcher und Risse zu flicken, Specksteinplatten auszutauschen. Entlang der ausgebreiteten Arme und am Kopf sind mittlerweile aber Blitzableiter angebracht worden, um größere Schäden zu vermeiden.
Für die tausenden Besucher, die täglich mit der Bahn oder einem der Kleinbusse durch den Atlantischen Regenwald hinauf zum Cristo Redentor fahren, ist der Besuch ein einmaliges Erlebnis. Vom Gipfel des Corcovado aus können sie nicht nur die mächtige Statue ganz aus der Nähe bewundern. Sie erhalten ebenso einen eindrucksvollen Blick auf die Cidade Maravilhosa, eingebettet zwischen Felsen, Bergkuppen, Regenwald und Meeresbucht.
Nein, der Cristo Redentor ist nicht die größte Christusstatue der Welt. In Polen steht beispielsweise eine noch größere. Sie ist aber wahrscheinlich eine der berühmtesten Statuen der Welt und nicht nur für die Brasilianer eine Besonderheit.
Mehr Wissenswertes über den Cristo Redentor und Kuriositäten zu seinem Bau erfahren Sie im Brasilienportal hier.